Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow: Eine Reise der Selbstfindung und Verantwortung
Der DEFA-Film „Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow“, unter der Regie von Siegfried Kühn, ist weit mehr als nur eine Erzählung über einen Mann, der eine zweite Chance erhält. Er ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den Themen Schuld, Sühne, Identität und der Möglichkeit, sich von den Fesseln der Vergangenheit zu befreien. Mit beeindruckenden schauspielerischen Leistungen, einer einfühlsamen Regie und einer komplexen, aber fesselnden Handlung zieht uns der Film in den Bann und lässt uns über die essenziellen Fragen des Lebens nachdenken.
Die Verwandlung eines Mannes
Die Geschichte beginnt mit Friedrich Wilhelm Georg Platow, einem Mann, der sich im Spiegelbild seines bisherigen Lebens wiederfindet und feststellt, dass dieses Bild alles andere als zufriedenstellend ist. Platow, verkörpert durch den charismatischen Kurt Böwe, ist ein angesehener Wissenschaftler, dessen Karriereweg vorgezeichnet scheint. Doch hinter der Fassade des Erfolgs verbirgt sich eine tiefe innere Leere. Seine Ehe ist von Routine und Entfremdung geprägt, und seine Arbeit bietet ihm keine echte Erfüllung mehr. Platow fühlt sich gefangen in einem goldenen Käfig, der ihn zunehmend erdrückt.
Ein unerwarteter Schicksalsschlag reißt Platow aus seiner Lethargie. Er erfährt von einem schweren Unfall, in den ein ihm unbekannter Mann verwickelt ist, der Friedrich Wilhelm Georg Platow heißt und sogar das gleiche Geburtsdatum hat. Dieser „andere“ Platow stirbt, und in einem kühnen, fast schon surrealen Akt der Verzweiflung beschließt unser Protagonist, dessen Identität anzunehmen. Er inszeniert seinen eigenen Tod und taucht in das Leben des Verstorbenen ein.
Dieser radikale Schritt markiert den Beginn einer außergewöhnlichen Reise. Platow lässt seine alte Existenz hinter sich und beginnt ein neues Leben als einfacher Arbeiter in einem Stahlwerk. Er tauscht das sterile Ambiente des Forschungslabors gegen die raue, ehrliche Welt der Fabrikhalle. Hier, inmitten von Schweiß, Lärm und harter körperlicher Arbeit, begegnet er Menschen, die ihm die Augen für eine andere Realität öffnen. Er lernt, was es bedeutet, mit seinen Händen zu arbeiten, Verantwortung für andere zu übernehmen und echte Solidarität zu erfahren.
Begegnungen, die das Leben verändern
Auf seinem Weg begegnet Platow einer Reihe von Charakteren, die sein neues Leben bereichern und ihn dazu zwingen, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Besonders hervorzuheben ist seine Beziehung zu Anna, einer Kollegin im Stahlwerk, die er durch ihre offene und herzliche Art ins Herz schließt. Anna, gespielt von der talentierten Cox Habbema, wird für Platow zu einem wichtigen Ankerpunkt in seinem neuen Leben. Sie ist ehrlich, direkt und unvoreingenommen, und sie fordert ihn heraus, sich seinen Ängsten und Zweifeln zu stellen.
Auch seine Begegnungen mit den anderen Arbeitern im Stahlwerk prägen Platows Weltbild nachhaltig. Er lernt von ihnen die Bedeutung von Teamwork, gegenseitiger Unterstützung und der gemeinsamen Anstrengung für ein höheres Ziel. Er erkennt, dass wahre Erfüllung nicht in materiellem Reichtum oder gesellschaftlichem Ansehen liegt, sondern in der Verbundenheit mit anderen Menschen und der Übernahme von Verantwortung für die Gemeinschaft.
Allerdings ist Platows neues Leben nicht frei von Schwierigkeiten. Seine Vergangenheit holt ihn immer wieder ein, und er muss sich der Frage stellen, ob seine Täuschung gerechtfertigt war und welche Konsequenzen sie für ihn und seine Familie haben wird. Die Angst vor Entdeckung begleitet ihn auf Schritt und Tritt, und er muss lernen, mit dem schlechten Gewissen und der Schuld umzugehen, die ihn plagen.
Schuld und Sühne: Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit
Ein zentrales Thema des Films ist die Auseinandersetzung mit Schuld und Sühne. Platows Entscheidung, seine Identität zu wechseln, ist nicht nur ein Akt der Selbstbefreiung, sondern auch eine Flucht vor der Verantwortung für sein bisheriges Leben. Er versucht, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen, aber er muss bald erkennen, dass dies nicht möglich ist. Die Geister der Vergangenheit verfolgen ihn, und er muss sich ihnen stellen, um wirklich frei zu werden.
Platow erkennt, dass er seine Familie, insbesondere seine Frau und seinen Sohn, durch seine Täuschung schwer verletzt hat. Er muss sich fragen, ob sein egoistischer Wunsch nach einem Neuanfang das Leid, das er anderen zugefügt hat, rechtfertigt. Im Laufe des Films reift in ihm die Erkenntnis, dass er die Verantwortung für seine Taten übernehmen und Wiedergutmachung leisten muss.
Der Film wirft die Frage auf, ob es möglich ist, sich von seiner Vergangenheit zu befreien und ein neues Leben zu beginnen. Kann Platow seine Schuld sühnen und sich von den Fesseln seiner alten Identität lösen? Die Antwort, die der Film gibt, ist komplex und ambivalent. Es gibt keine einfachen Lösungen oder Patentrezepte für ein erfülltes Leben. Jeder Mensch muss seinen eigenen Weg finden, um mit seiner Vergangenheit ins Reine zu kommen und Verantwortung für seine Zukunft zu übernehmen.
Die filmische Umsetzung: Ein Meisterwerk der DEFA
„Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow“ ist nicht nur inhaltlich, sondern auch formal ein beeindruckendes Werk der DEFA-Filmgeschichte. Siegfried Kühn gelingt es, die komplexe Thematik des Films auf eine fesselnde und berührende Weise umzusetzen. Die Kameraarbeit ist sensibel und einfühlsam, und die Musik unterstreicht die emotionalen Höhepunkte der Geschichte.
Besonders hervorzuheben sind die schauspielerischen Leistungen. Kurt Böwe verkörpert die Zerrissenheit und innere Entwicklung Platows auf eine beeindruckende Weise. Er verleiht der Figur eine Tiefe und Glaubwürdigkeit, die den Zuschauer von der ersten bis zur letzten Minute fesselt. Auch Cox Habbema überzeugt als Anna mit ihrer natürlichen und authentischen Darstellung.
Der Film zeichnet ein realistisches und differenziertes Bild der DDR-Gesellschaft der 1970er Jahre. Er zeigt die positiven Seiten des Sozialismus, wie Solidarität, Gemeinschaftssinn und die Möglichkeit für jeden Menschen, sich zu entwickeln und etwas Sinnvolles zu leisten. Aber er scheut sich auch nicht, die Schattenseiten anzusprechen, wie Bürokratie, Leistungsdruck und die Einschränkung individueller Freiheiten.
Die Bedeutung des Films heute
Auch heute, Jahrzehnte nach seiner Entstehung, hat „Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow“ nichts von seiner Aktualität verloren. Die Themen, die der Film behandelt, sind universell und zeitlos. Die Frage nach der eigenen Identität, der Sinnhaftigkeit des Lebens und der Verantwortung für die Gemeinschaft beschäftigt uns auch heute noch.
Der Film erinnert uns daran, dass es nie zu spät ist, sein Leben zu ändern und einen neuen Weg einzuschlagen. Er ermutigt uns, uns unseren Ängsten und Zweifeln zu stellen und die Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen. Er zeigt uns, dass wahre Erfüllung nicht in materiellem Reichtum oder gesellschaftlichem Ansehen liegt, sondern in der Verbundenheit mit anderen Menschen und der Übernahme von Verantwortung für die Welt, in der wir leben.
Fazit: Ein Film, der lange nachwirkt
„Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow“ ist ein Film, der unter die Haut geht und lange nachwirkt. Er ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den existenziellen Fragen des Lebens und ein Plädoyer für Menschlichkeit, Solidarität und die Bereitschaft, sich zu verändern. Ein Meisterwerk der DEFA-Filmgeschichte, das man gesehen haben sollte.
Besetzung:
Schauspieler | Rolle |
---|---|
Kurt Böwe | Friedrich Wilhelm Georg Platow |
Cox Habbema | Anna |
Käthe Reichel | Frau Platow |
Horst Schulze | Direktor |
Gerry Wolff | Meister Lehmann |
Fred Düren | Kollege im Stahlwerk |
Peter Aust | Sohn Platow |
Filmstab:
- Regie: Siegfried Kühn
- Drehbuch: Siegfried Kühn, Wolfgang Kohlhaase
- Kamera: Peter Ziesche
- Musik: Günther Fischer