Der Verdingbub: Eine ergreifende Reise in die Schweizer Vergangenheit
Der Film „Der Verdingbub“, erschienen im Jahr 2011 unter der Regie von Markus Imboden, ist weit mehr als nur ein historisches Drama. Er ist ein Fenster in eine dunkle und oft vergessene Epoche der Schweizer Geschichte, die das Schicksal unzähliger Kinder für immer prägte. Mit einer beeindruckenden Authentizität und emotionaler Tiefe erzählt der Film die Geschichte des kleinen Max, der in den 1950er Jahren als Verdingbub an einen Bauernhof „verdingt“ wird – ein Schicksal, das er mit Tausenden anderen Kindern teilte.
Die Geschichte von Max: Ein Kind auf sich allein gestellt
Max, gespielt von dem jungen und talentierten Max Hubacher, ist ein aufgeweckter und fantasievoller Junge, der nach dem Tod seiner Mutter in eine Welt der Ungewissheit und Härte gestoßen wird. Anstatt bei seiner Familie aufzuwachsen, wird er, wie viele andere „Verdingkinder“, an einen Bauernhof vermittelt. Dort soll er arbeiten und den harten Alltag auf dem Land bewältigen. Was Max erwartet, ist jedoch weit mehr als nur Arbeit. Er findet sich in einer Umgebung wieder, die von Kälte, Ausbeutung und emotionaler Vernachlässigung geprägt ist.
Die Bäuerin, gespielt von Barbara Sukowa, ist eine vielschichtige Figur. Einerseits zeigt sie eine gewisse Strenge und Unnachgiebigkeit, die durch die harte Arbeit und die eigenen Lebensumstände geprägt ist. Andererseits lässt sie Momente der Menschlichkeit und Zuneigung erkennen, die jedoch oft im Keim erstickt werden. Der Bauer, gespielt von Stefan Kurt, verkörpert die Autorität und Strenge der damaligen Zeit. Er sieht in Max vor allem eine billige Arbeitskraft und behandelt ihn dementsprechend.
Max muss sich in dieser feindseligen Umgebung behaupten. Er lernt schnell, dass er niemandem vertrauen kann und dass er auf sich allein gestellt ist. Trotz der täglichen Demütigungen und der körperlichen Anstrengung versucht Max, seine Würde und seinen Lebensmut zu bewahren. Er klammert sich an seine Fantasie und seine Erinnerungen an seine Mutter, die ihm Kraft geben, durchzuhalten.
Verdingkinder: Ein dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte
„Der Verdingbub“ thematisiert ein dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte: die Praxis der „Verdingkinder“. Bis ins 20. Jahrhundert wurden Kinder aus armen Familien oder mit unehelichen Eltern von den Behörden an Bauernfamilien „verdingt“. Diese Kinder wurden oft wie Sklaven behandelt, mussten schwere körperliche Arbeit verrichten und wurden emotional vernachlässigt oder sogar misshandelt. Sie hatten keine Rechte und waren der Willkür ihrer „Pflegeeltern“ ausgeliefert.
Der Film zeigt auf eindringliche Weise, wie diese Praxis das Leben der betroffenen Kinder für immer prägte. Sie wuchsen ohne Liebe und Geborgenheit auf, wurden ihrer Kindheit beraubt und trugen oft ein Leben lang an den seelischen Narben der erlittenen Traumata. Viele Verdingkinder hatten später Schwierigkeiten, ein normales Leben zu führen, und kämpften mit psychischen Problemen, Sucht oder sozialer Ausgrenzung.
Die Bedeutung des Films: Aufarbeitung und Sensibilisierung
„Der Verdingbub“ hat in der Schweiz eine breite öffentliche Debatte über die Geschichte der Verdingkinder ausgelöst. Der Film hat dazu beigetragen, das Bewusstsein für dieses dunkle Kapitel der Schweizer Geschichte zu schärfen und die Opfer zu rehabilitieren. Er hat dazu beigetragen, dass sich die Schweiz ihrer Vergangenheit stellt und Verantwortung für das erlittene Unrecht übernimmt.
Der Film ist aber auch eine Mahnung, die Rechte von Kindern zu schützen und sicherzustellen, dass Kinder in einer liebevollen und sicheren Umgebung aufwachsen können. Er erinnert uns daran, dass Kinder keine Objekte sind, die man ausbeuten oder vernachlässigen darf, sondern dass sie Individuen mit eigenen Bedürfnissen und Rechten sind.
Die schauspielerischen Leistungen: Authentizität und Emotion
Die schauspielerischen Leistungen in „Der Verdingbub“ sind durchweg hervorragend. Max Hubacher überzeugt als Max mit seiner Natürlichkeit und seinem emotionalen Ausdruck. Er verkörpert die Verletzlichkeit und den Lebensmut des kleinen Jungen auf beeindruckende Weise. Barbara Sukowa und Stefan Kurt liefern ebenfalls überzeugende Darstellungen der Bäuerin und des Bauern. Sie zeigen die Komplexität ihrer Charaktere und machen deutlich, dass auch sie Opfer ihrer eigenen Umstände sind.
Auch die Nebendarsteller tragen zur Authentizität des Films bei. Sie verkörpern die verschiedenen Figuren im Dorf und auf dem Bauernhof glaubwürdig und vermitteln ein realistisches Bild der damaligen Zeit.
Die Inszenierung: Eine Reise in die Vergangenheit
Die Inszenierung von „Der Verdingbub“ ist detailgetreu und atmosphärisch dicht. Die Kamera fängt die Schönheit der Schweizer Landschaft ein, zeigt aber auch die Härte und Kargheit des Lebens auf dem Land. Die Kostüme und das Szenenbild sind authentisch und tragen dazu bei, dass der Zuschauer in die Vergangenheit eintauchen kann.
Die Musik von Martin Tillman unterstützt die emotionale Wirkung des Films. Sie ist mal sanft und melancholisch, mal kraftvoll und dramatisch und unterstreicht die verschiedenen Stimmungen der Geschichte.
Fazit: Ein Film, der berührt und nachdenklich macht
„Der Verdingbub“ ist ein wichtiger und bewegender Film, der ein dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte aufarbeitet. Er erzählt die Geschichte von Max auf eindringliche Weise und zeigt, wie die Praxis der Verdingkinder das Leben unzähliger Kinder für immer prägte. Der Film ist aber auch eine Mahnung, die Rechte von Kindern zu schützen und sicherzustellen, dass Kinder in einer liebevollen und sicheren Umgebung aufwachsen können.
Mit seinen hervorragenden schauspielerischen Leistungen, seiner detailgetreuen Inszenierung und seiner emotionalen Tiefe ist „Der Verdingbub“ ein Film, der berührt und nachdenklich macht. Er ist ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der Schweizer Geschichte und ein Plädoyer für Menschlichkeit und Mitgefühl.
Auszeichnungen (Auswahl)
- Schweizer Filmpreis 2012: Bester Spielfilm
- Schweizer Filmpreis 2012: Bestes Drehbuch
- Schweizer Filmpreis 2012: Beste Filmmusik
- Zürcher Filmpreis 2011
Besetzung
Schauspieler | Rolle |
---|---|
Max Hubacher | Max |
Barbara Sukowa | Bäuerin |
Stefan Kurt | Bauer |
Katja Riemann | Frau Bösiger |
Andreas Matti | Herr Bösiger |