Die Geträumten – Eine Reise durch die Liebe und die Poesie
„Die Geträumten“, ein Film von Ruth Beckermann aus dem Jahr 2016, ist weit mehr als eine bloße Verfilmung von Briefen. Er ist eine intensive und berührende Auseinandersetzung mit der Liebe, der Leidenschaft und dem Schmerz, die das Leben prägen können. Basierend auf dem Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, entführt uns der Film in die Seelenlandschaft zweier außergewöhnlicher Dichter, deren Beziehung von tiefem Verständnis, künstlerischer Inspiration und unüberwindbaren Hindernissen geprägt war.
Die Handlung: Ein Briefwechsel wird lebendig
Der Film verzichtet bewusst auf eine konventionelle Inszenierung. Stattdessen treffen junge Schauspieler in einem Wiener Tonstudio aufeinander, um die Briefe von Bachmann und Celan zu lesen. Diese Reduktion auf das Wesentliche – die Worte und die Stimmen – erzeugt eine unmittelbare Nähe zu den Protagonisten. Wir werden Zeugen ihrer ersten Annäherung, ihrer gegenseitigen Bewunderung, ihrer wachsenden Liebe und schließlich auch ihrer tiefen Verletzungen und Enttäuschungen.
Die Briefe spiegeln die komplexe Dynamik zwischen Bachmann und Celan wider. Da ist die tiefe intellektuelle Verbundenheit, die sich in ihren Gesprächen über Literatur, Kunst und Philosophie manifestiert. Da ist aber auch die leidenschaftliche, fast schon obsessive Liebe, die sie füreinander empfinden. Und da sind die Schatten der Vergangenheit, die auf ihrer Beziehung lasten: Celans Trauma als Holocaust-Überlebender und Bachmanns Suche nach ihrer eigenen Identität als Frau in einer von Männern dominierten Welt.
Während die Schauspieler die Briefe lesen, werden sie selbst von den Emotionen der Protagonisten ergriffen. Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen. Wir beobachten, wie die jungen Darsteller mit den Texten ringen, sie interpretieren und ihnen ihre eigene Stimme verleihen. So entsteht ein faszinierendes Kammerspiel, das uns auf eine emotionale Reise durch die Höhen und Tiefen der Liebe mitnimmt.
Die Figuren: Zwei Dichter im Spiegel ihrer Briefe
Ingeborg Bachmann: Eine brillante und selbstbewusste Schriftstellerin, die sich nach einer tiefen, erfüllenden Liebe sehnt. Doch ihre Unabhängigkeit und ihr Wunsch nach künstlerischer Freiheit stehen oft im Widerspruch zu ihren romantischen Sehnsüchten. Bachmann ist eine Frau, die sich nicht anpassen will, die gegen Konventionen rebelliert und die ihren eigenen Weg sucht.
Paul Celan: Ein genialer Dichter, der von den Schrecken des Holocaust traumatisiert ist. Seine Gedichte sind geprägt von Schmerz, Verlust und der Suche nach einer Sprache, die das Unaussprechliche auszudrücken vermag. Celan ist ein Mann der Extreme, der zwischen tiefer Verzweiflung und unbändiger Lebenskraft schwankt.
Ihre Beziehung ist geprägt von einer tiefen Anziehungskraft, aber auch von unüberbrückbaren Gegensätzen. Bachmann sucht nach Halt und Geborgenheit, während Celan von seinen inneren Dämonen geplagt wird. Ihre Liebe wird zu einem Spiegel ihrer eigenen Verletzungen und Ängste.
Themen und Motive: Mehr als nur eine Liebesgeschichte
„Die Geträumten“ ist vielschichtig und thematisiert eine Vielzahl von relevanten Themen:
- Die Liebe: Der Film zeigt die Liebe in all ihren Facetten – als Quelle der Inspiration, der Freude, aber auch des Schmerzes und der Enttäuschung. Er thematisiert die Schwierigkeit, eine dauerhafte und erfüllende Beziehung zu führen, insbesondere wenn die Partner unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungen haben.
- Die Poesie: Die Briefe von Bachmann und Celan sind durchzogen von poetischen Bildern und Metaphern. Der Film feiert die Kraft der Sprache, Gefühle auszudrücken und eine Verbindung zwischen Menschen herzustellen. Er zeigt, wie die Poesie Trost spenden und Hoffnung geben kann, auch in den dunkelsten Stunden.
- Die Vergangenheit: Celans Trauma als Holocaust-Überlebender ist ein zentrales Thema des Films. Er zeigt, wie die Vergangenheit die Gegenwart beeinflussen kann und wie schwierig es ist, mit den Narben der Geschichte zu leben.
- Die Identität: Bachmanns Suche nach ihrer eigenen Identität als Frau und Künstlerin ist ein weiteres wichtiges Motiv. Der Film thematisiert die Herausforderungen, sich in einer von Männern dominierten Welt zu behaupten und den eigenen Weg zu gehen.
- Die Kunst: Der Film reflektiert über die Rolle der Kunst in der Gesellschaft und über die Verantwortung der Künstler, sich mit den drängenden Fragen ihrer Zeit auseinanderzusetzen.
Die Inszenierung: Eine Hommage an die Worte
Ruth Beckermann verzichtet bewusst auf eine opulente Ausstattung und eine dramatische Handlung. Stattdessen konzentriert sie sich auf die Kraft der Worte und die Ausdruckskraft der Schauspieler. Die minimalistische Inszenierung verstärkt die Intimität und Authentizität des Films. Die Kamera fängt die subtilen Nuancen der Mimik und Gestik der Darsteller ein und vermittelt so die komplexen Emotionen der Protagonisten.
Die Wahl eines Tonstudios als Drehort ist kein Zufall. Es unterstreicht den performativen Charakter des Films und verdeutlicht, dass es sich um eine Interpretation der Briefe handelt. Die Geräusche des Studios – das Klicken der Mikrofone, das Rascheln der Papiere – werden bewusst in den Film integriert und erzeugen eine besondere Atmosphäre.
Die Musik spielt in „Die Geträumten“ eine untergeordnete Rolle. Sie wird sparsam eingesetzt, um die emotionalen Höhepunkte des Films zu untermalen. Die Stille zwischen den Worten ist ebenso wichtig wie die Worte selbst. Sie lässt Raum für Reflexion und Interpretation.
Die Bedeutung des Films: Ein zeitloses Porträt der Liebe
„Die Geträumten“ ist ein Film, der lange nachwirkt. Er ist eine Hommage an die Liebe, die Poesie und die menschliche Fähigkeit zu tiefem Mitgefühl. Er zeigt, wie wichtig es ist, sich mit den großen Fragen des Lebens auseinanderzusetzen und sich nicht vor den Herausforderungen zu scheuen. Er inspiriert dazu, die eigene Stimme zu finden und für seine Überzeugungen einzustehen.
Der Film ist nicht nur für Literaturinteressierte sehenswert, sondern für alle, die sich für die menschliche Natur, die Komplexität der Liebe und die Kraft der Kunst interessieren. Er ist ein Plädoyer für die Empathie und das Verständnis, die wir in einer Welt voller Konflikte und Missverständnisse so dringend benötigen.
„Die Geträumten“ ist ein Meisterwerk des dokumentarischen Kinos, das uns auf eine tiefgründige und berührende Reise durch die Seelenlandschaft zweier außergewöhnlicher Dichter mitnimmt. Ein Film, der uns daran erinnert, dass die Liebe und die Poesie die Welt verändern können.
Besetzung:
Schauspieler | Rolle |
---|---|
Anja Plaschg | Ingeborg Bachmann |
Laurence Rupp | Paul Celan |
Fazit:
„Die Geträumten“ ist ein außergewöhnlicher Film, der durch seine Intimität, seine Authentizität und seine tiefgründige Auseinandersetzung mit der Liebe und der Poesie besticht. Ein Film, der uns zum Nachdenken anregt und uns lange in Erinnerung bleibt.