Die Wütenden – Les Misérables: Ein erschütterndes Spiegelbild der französischen Vorstädte
„Die Wütenden – Les Misérables“, ein französisches Filmdrama aus dem Jahr 2019, ist weit mehr als eine bloße Nacherzählung von Victor Hugos gleichnamigem Roman. Regisseur Ladj Ly, der selbst in den Banlieues aufgewachsen ist, entwirft ein schonungsloses und hyperrealistisches Porträt der sozialen Spannungen und der daraus resultierenden Gewalt in den französischen Vorstädten. Der Film, der mit dem Prix du Jury in Cannes ausgezeichnet wurde und für den Oscar als bester internationaler Film nominiert war, ist eine kraftvolle und beklemmende Auseinandersetzung mit Polizeigewalt, Armut, Ausgrenzung und dem Verlust der Hoffnung. „Die Wütenden – Les Misérables“ ist ein Film, der unter die Haut geht und lange nachwirkt, ein Weckruf, der zum Nachdenken und Handeln anregen soll.
Ein neuer Blick auf die Banlieues: Die Handlung
Die Geschichte beginnt mit Stéphane Ruiz, einem Polizisten, der neu in die Anti-Kriminalitätseinheit (BAC) von Montfermeil versetzt wird, einem sozialen Brennpunkt am Rande von Paris. Er wird dem erfahrenen und zynischen Chris und seinem Kollegen Gwada zugeteilt. Während Stéphane versucht, sich in die raue Realität des Viertels einzufinden, wird er Zeuge von alltäglicher Polizeigewalt, Rassismus und dem verzweifelten Kampf der Bewohner um ein menschenwürdiges Leben. Die drei Polizisten patrouillieren durch die Straßen, die von Armut, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit geprägt sind. Sie geraten immer wieder in Konflikt mit den verschiedenen Gruppen und Gangs, die das Viertel kontrollieren.
Als ein Zirkuslöwe gestohlen wird, eskaliert die Situation. Die Polizisten werden in die Suche nach dem Tier involviert und geraten dabei in einen Konflikt mit einer Gruppe Jugendlicher. Bei einem unglücklichen Zwischenfall wird ein Jugendlicher von einem Gummigeschoss getroffen und schwer verletzt. Die Situation droht zu eskalieren, als ein Video des Vorfalls auftaucht und die Bewohner des Viertels auf die Barrikaden treibt. Die ohnehin schon fragile Ordnung bricht zusammen, und die Vorstadt versinkt im Chaos.
Die Charaktere: Zwischen Gut und Böse
Die Charaktere in „Die Wütenden – Les Misérables“ sind komplex und vielschichtig. Es gibt keine einfachen Antworten, keine klaren Helden und Schurken. Jeder Charakter kämpft mit seinen eigenen Dämonen, seinen eigenen Vorurteilen und seiner eigenen Verzweiflung.
- Stéphane Ruiz: Der neue Polizist, der versucht, seinen eigenen moralischen Kompass in einer Welt der Grausamkeit und Ungerechtigkeit zu finden. Er ist ein Beobachter, der versucht, die Situation zu verstehen und einen Unterschied zu machen. Doch er muss bald feststellen, dass die Realität komplizierter ist, als er es sich vorgestellt hat.
- Chris: Der erfahrene und zynische Polizist, der in den Banlieues aufgewachsen ist und die Hoffnung auf Veränderung längst verloren hat. Er ist brutal und rücksichtslos, aber auch ein Produkt seiner Umgebung. Er glaubt, dass Gewalt die einzige Sprache ist, die die Bewohner des Viertels verstehen.
- Gwada: Der dritte Polizist im Team, der zwischen den Fronten steht. Er ist hin- und hergerissen zwischen seiner Loyalität zu seinen Kollegen und seinem Gewissen. Er versucht, einen Mittelweg zu finden, aber scheitert letztendlich an der Unversöhnlichkeit der Situation.
- Issa: Der junge Junge, der von einem Gummigeschoss getroffen wird. Er ist ein Symbol für die unschuldigen Opfer der Gewalt. Seine Verletzung löst die Eskalation der Situation aus und führt zu einem Aufstand der Bewohner.
- Salah: Ein ehemaliger Krimineller, der sich zum frommen Muslim gewandelt hat und versucht, als Vermittler zwischen den verschiedenen Gruppen im Viertel zu fungieren. Er ist eine Figur der Hoffnung, aber auch er wird von der Gewalt eingeholt.
Die Themen: Ein Spiegel der französischen Gesellschaft
„Die Wütenden – Les Misérables“ behandelt eine Vielzahl von wichtigen und relevanten Themen, die weit über die Grenzen Frankreichs hinausgehen.
Polizeigewalt und Rassismus
Der Film zeigt auf eindringliche Weise die alltägliche Polizeigewalt und den Rassismus, denen die Bewohner der Banlieues ausgesetzt sind. Die Polizisten agieren oft willkürlich und brutal, ohne Rücksicht auf die Rechte der Menschen. Der Film stellt die Frage, ob Polizeigewalt ein notwendiges Übel ist oder ob sie die Spirale der Gewalt nur weiter anheizt.
Armut und Ausgrenzung
Die Armut und Ausgrenzung, die in den Banlieues herrschen, sind ein weiterer zentraler Aspekt des Films. Die Bewohner leben in heruntergekommenen Wohnungen, haben kaum Zugang zu Bildung und Arbeit und fühlen sich von der Gesellschaft vergessen. Der Film zeigt, wie diese soziale Ungleichheit zu Frustration, Wut und Gewalt führen kann.
Der Verlust der Hoffnung
Der Film zeichnet ein düsteres Bild einer Gesellschaft, in der die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verloren gegangen ist. Die Bewohner der Banlieues haben das Vertrauen in die Politik und die Institutionen verloren und fühlen sich im Stich gelassen. Der Film stellt die Frage, wie man den Menschen in diesen Vierteln wieder Hoffnung geben kann.
Die Spirale der Gewalt
„Die Wütenden – Les Misérables“ zeigt, wie Gewalt Gewalt erzeugt und wie es schwierig ist, aus diesem Kreislauf auszubrechen. Die Polizisten reagieren mit Gewalt auf die Gewalt der Jugendlichen, was wiederum zu noch mehr Gewalt führt. Der Film stellt die Frage, ob es einen Weg gibt, diesen Kreislauf zu durchbrechen.
Die Inszenierung: Realismus und Authentizität
Ladj Ly gelingt es, eine unglaublich realistische und authentische Atmosphäre zu schaffen. Der Film wurde in den Banlieues von Montfermeil gedreht, wo der Regisseur selbst aufgewachsen ist. Die Schauspieler sind größtenteils Laien, die aus den Vierteln stammen und ihre eigenen Erfahrungen in die Rollen einbringen. Die Kamera ist immer mitten im Geschehen, fängt die Energie und die Spannung der Situation ein. Die Dialoge sind rau und authentisch, die Bilder schonungslos und direkt. Der Film verzichtet auf jegliche Beschönigung und zeigt die Realität so, wie sie ist.
Die Verwendung von Drohnenaufnahmen ist ein weiteres stilistisches Mittel, das zur Wirkung des Films beiträgt. Die Aufnahmen aus der Vogelperspektive vermitteln ein Gefühl der Überwachung und der Ohnmacht. Sie zeigen die Banlieues als ein Labyrinth aus Beton und Armut, in dem die Menschen gefangen sind.
Die Musik: Ein pulsierender Soundtrack
Die Musik von Pink Noise spielt eine entscheidende Rolle in „Die Wütenden – Les Misérables“. Der pulsierende und treibende Soundtrack verstärkt die Spannung und die Dramatik der Handlung. Die Musik ist eine Mischung aus Hip-Hop, elektronischer Musik und traditionellen französischen Klängen. Sie spiegelt die Vielfalt und die Energie der Banlieues wider.
Die Botschaft: Ein Weckruf an die Gesellschaft
„Die Wütenden – Les Misérables“ ist mehr als nur ein Film, er ist ein Weckruf an die Gesellschaft. Ladj Ly will mit seinem Film auf die sozialen Probleme und die Ungerechtigkeiten in den französischen Vorstädten aufmerksam machen. Er will zeigen, dass die Situation in den Banlieues explosiv ist und dass dringend etwas getan werden muss, um eine weitere Eskalation der Gewalt zu verhindern.
Der Film ist aber auch eine Mahnung zur Menschlichkeit und zur Empathie. Er erinnert uns daran, dass hinter jeder Statistik und hinter jeder Schlagzeile Menschen stehen, die ein Recht auf ein würdevolles Leben haben. Er fordert uns auf, über den Tellerrand zu schauen und die Perspektive der anderen zu verstehen.
Fazit: Ein Meisterwerk des sozialen Kinos
„Die Wütenden – Les Misérables“ ist ein Meisterwerk des sozialen Kinos, ein Film, der unter die Haut geht und lange nachwirkt. Ladj Ly hat mit seinem Film ein schonungsloses und hyperrealistisches Porträt der französischen Vorstädte geschaffen. Der Film ist ein wichtiger Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte über Polizeigewalt, Armut, Ausgrenzung und den Verlust der Hoffnung. Er ist ein Weckruf, der zum Nachdenken und Handeln anregen soll.
„Die Wütenden – Les Misérables“ ist ein Film, den man gesehen haben muss. Er ist ein wichtiges und bewegendes Zeugnis unserer Zeit.
Auszeichnungen (Auswahl)
Auszeichnung | Kategorie | Ergebnis |
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Cannes Film Festival | Prix du Jury | Gewonnen |
Oscar | Bester internationaler Film | Nominiert |
César | Bester Film | Gewonnen |
Europäischer Filmpreis | Bester europäischer Film | Nominiert |