Get Out – Ein Schrei gegen die Stille: Wenn der Horror unter die Haut geht
Jordan Peeles Regiedebüt „Get Out“ ist weit mehr als ein Horrorfilm. Es ist eine brillante, schmerzhafte und erschreckend relevante Auseinandersetzung mit Rassismus, Vorurteilen und der stillen Gewalt, die in der vermeintlichen Liberalität unserer Gesellschaft lauert. Der Film, der 2017 die Kinos eroberte, katapultierte Peele nicht nur in den Olymp der Filmemacher, sondern entfachte auch einen wichtigen Diskurs über Identität, Macht und die Abgründe der menschlichen Psyche.
Eine Einladung mit doppeltem Boden: Die Handlung
Chris Washington, ein junger, afroamerikanischer Fotograf, steht vor einer Herausforderung: Er soll seine Freundin Rose Armitage und ihre Familie übers Wochenende auf ihrem idyllischen Landsitz besuchen. Chris ist nervös, denn Rose hat ihm bisher verschwiegen, dass er der erste schwarze Freund ist, den sie ihren Eltern vorstellen wird. Rose beteuert, dass ihre Eltern tolerant und aufgeschlossen sind – liberale Weiße, die Barack Obama zweimal gewählt haben. Doch schon bei der Ankunft auf dem Anwesen beschleicht Chris ein ungutes Gefühl.
Roses Eltern, Dean, ein Neurochirurg, und Missy, eine Hypnosetherapeutin, sind zwar bemüht freundlich, doch ihre übertriebene Herzlichkeit wirkt aufgesetzt und irritierend. Auch das Verhalten der schwarzen Angestellten, Walter und Georgina, die sich seltsam unterwürfig und apathisch geben, wirft Fragen auf. Chris versucht, seine wachsende Unruhe zu ignorieren und die Zeit mit Rose zu genießen, aber die subtilen Mikroaggressionen, die abfälligen Bemerkungen und die starren Blicke der weißen Gäste während des alljährlichen Familienfestes lassen ihn nicht los.
Die Situation eskaliert, als Chris entdeckt, dass hinter der Fassade der liberalen Familie Armitage ein finsteres Geheimnis verborgen liegt. Er gerät in ein Netz aus Manipulation, Hypnose und rassistischer Gewalt, das ihn zwingt, um sein Leben zu kämpfen. Was als harmloser Wochenendausflug begann, entwickelt sich zu einem Albtraum, in dem Chris nicht nur gegen die Armitage Familie, sondern auch gegen die unsichtbaren Ketten des systemischen Rassismus kämpfen muss.
Die Figuren: Zwischen Fassade und Abgrund
Die Charaktere in „Get Out“ sind komplex und vielschichtig angelegt. Sie repräsentieren unterschiedliche Facetten der amerikanischen Gesellschaft und verkörpern die subtilen Formen des Rassismus, die oft unter dem Deckmantel der Gutmütigkeit verborgen liegen.
- Chris Washington (Daniel Kaluuya): Chris ist der Protagonist des Films und die Projektionsfläche des Zuschauers. Er ist ein sensibler, intelligenter und talentierter junger Mann, der versucht, in einer Welt seinen Platz zu finden, die ihm nicht immer wohlgesonnen ist. Kaluuyas nuancierte Darstellung fängt die innere Zerrissenheit und die wachsende Angst von Chris auf beeindruckende Weise ein.
- Rose Armitage (Allison Williams): Rose ist Chris‘ Freundin und zunächst der Inbegriff der liberalen, weltoffenen weißen Frau. Doch im Laufe des Films wird deutlich, dass hinter ihrer Fassade eine dunkle und manipulative Seite verborgen liegt. Williams‘ Performance ist beunruhigend und zeigt die Verführbarkeit und die Gefährlichkeit von Vorurteilen.
- Dean Armitage (Bradley Whitford): Dean, Roses Vater und ein erfolgreicher Neurochirurg, verkörpert den wohlmeinenden, aber letztlich blinden weißen Liberalen. Er ist stolz auf seine Toleranz und seine Unterstützung von Barack Obama, ist sich aber der Privilegien und der subtilen Formen des Rassismus, die er selbst reproduziert, nicht bewusst.
- Missy Armitage (Catherine Keener): Missy, Roses Mutter und eine Hypnosetherapeutin, ist die Strippenzieherin im Hintergrund. Sie nutzt ihre Fähigkeiten, um Chris zu manipulieren und zu kontrollieren. Keeners Darstellung ist unheimlich und unterstreicht die Gefahr der vermeintlichen Heilung und der Ausbeutung des Unterbewusstseins.
- Rod Williams (Lil Rel Howery): Rod, Chris‘ bester Freund und ein TSA-Agent, ist der humorvolle und skeptische Gegenpol zur bedrohlichen Atmosphäre des Films. Er ist der Einzige, der Chris‘ Misstrauen ernst nimmt und versucht, ihm zu helfen. Howery sorgt für dringend benötigte komische Entlastung, ohne die Ernsthaftigkeit des Themas zu untergraben.
Themen und Motive: Mehr als nur ein Horrorfilm
„Get Out“ ist ein Film, der unterhält, aber auch zum Nachdenken anregt. Er behandelt eine Vielzahl von komplexen Themen und Motiven, die über das Genre des Horrorfilms hinausgehen.
- Rassismus und Vorurteile: Der Film ist eine scharfe Kritik am systemischen Rassismus und den subtilen Formen der Diskriminierung, die oft im Alltag präsent sind. Peele zeigt, wie Vorurteile die Wahrnehmung beeinflussen und zu Gewalt führen können.
- Identität und Entfremdung: Chris‘ Kampf um seine Identität und seine Würde steht im Zentrum des Films. Er fühlt sich in der weißen Welt der Armitage Familie zunehmend entfremdet und isoliert.
- Macht und Kontrolle: Die Armitage Familie verkörpert die Machtstrukturen der weißen Mehrheitsgesellschaft. Sie versuchen, Chris zu kontrollieren und zu manipulieren, um ihre eigenen Interessen zu wahren.
- Körperliche Autonomie: Der Verlust der körperlichen Autonomie ist ein zentrales Thema des Films. Chris wird durch die Hypnose und die medizinischen Experimente der Armitage Familie seiner Selbstbestimmung beraubt.
- Die Rolle der Medien: Der Film kritisiert die Darstellung von Afroamerikanern in den Medien und die Stereotypen, die oft reproduziert werden.
Die Inszenierung: Horror, Spannung und subtile Botschaften
Jordan Peele versteht es meisterhaft, Horror, Spannung und subtile Botschaften miteinander zu verbinden. Die Inszenierung von „Get Out“ ist raffiniert und durchdacht, jede Einstellung, jede Kameraeinstellung und jede musikalische Untermalung trägt zur Atmosphäre der Bedrohung und des Unbehagens bei.
- Die Kameraführung: Die Kamera ist oft aus Chris‘ Perspektive positioniert, so dass der Zuschauer seine Angst und Verunsicherung nachempfinden kann. Die Close-ups auf die starren Blicke der weißen Gäste verstärken das Gefühl der Bedrohung.
- Die Musik: Die Musik von Michael Abels ist unheimlich und verstörend. Sie vermischt Elemente des Horrorfilms mit afrikanischen Rhythmen und Gesängen, um die kulturelle Identität von Chris zu unterstreichen.
- Die Symbolik: Der Film ist reich an Symbolen und Metaphern. Die Baumwollpflückszene, die Hirschtrophäe und die rote Kappe sind nur einige Beispiele für die subtilen Botschaften, die Peele in den Film einwebt.
Die Wirkung: Ein kulturelles Phänomen
„Get Out“ war nicht nur ein kommerzieller Erfolg, sondern auch ein kulturelles Phänomen. Der Film löste eine breite öffentliche Diskussion über Rassismus und Vorurteile aus und inspirierte zahlreiche Memes, Parodien und Analysen.
Die Anerkennung für „Get Out“ war überwältigend. Jordan Peele gewann den Oscar für das beste Originaldrehbuch und wurde für die beste Regie nominiert. Der Film wurde zudem für den besten Film nominiert und erhielt zahlreiche weitere Auszeichnungen und Preise. „Get Out“ hat das Genre des Horrorfilms neu definiert und gezeigt, dass Horror nicht nur unterhalten, sondern auch zum Nachdenken anregen kann.
Fazit: Ein Meisterwerk des modernen Horrorfilms
„Get Out“ ist ein Meisterwerk des modernen Horrorfilms, das weit über seine Genre-Konventionen hinausgeht. Der Film ist eine intelligente, schmerzhafte und erschreckend relevante Auseinandersetzung mit Rassismus, Vorurteilen und der stillen Gewalt, die in unserer Gesellschaft lauert. Jordan Peele hat mit „Get Out“ nicht nur einen spannenden und unterhaltsamen Film geschaffen, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur kulturellen und politischen Debatte geleistet. „Get Out“ ist ein Film, der noch lange nachwirkt und zum Nachdenken anregt.