Il Divo – Der Göttliche: Eine Reise in die Seele der Macht
Paolo Sorrentinos Meisterwerk „Il Divo – Der Göttliche“ ist weit mehr als eine bloße Biografie. Es ist ein faszinierendes, hypnotisches und zugleich erschreckendes Porträt von Giulio Andreotti, dem siebenmaligen italienischen Ministerpräsidenten, einer der schillerndsten und umstrittensten Figuren der italienischen Nachkriegsgeschichte. Der Film, der 2008 in Cannes mit dem Jurypreis ausgezeichnet wurde, entführt uns in die verwinkelten Gänge der Macht, wo Politik, Religion und organisiertes Verbrechen auf beängstigende Weise miteinander verschmelzen.
Ein Mann im Schatten: Giulio Andreotti
Toni Servillo verkörpert Andreotti mit einer Intensität und Nuanciertheit, die den Zuschauer gleichermaßen fasziniert und abstößt. Andreotti, der stets im Halbdunkel agiert, ist ein Mann der Strategie, der Intrigen und der unerschütterlichen Loyalität zu seinem eigenen Machterhalt. Er ist ein Meister der Manipulation, der die Fäden im Hintergrund zieht und dabei stets seine undurchdringliche Maske wahrt. Servillos Darstellung lässt uns tief in die Psyche dieses enigmatischen Mannes eintauchen, seine Ängste erahnen und seine Beweggründe zu verstehen versuchen, ohne ihn jemals zu entschuldigen.
Andreotti war ein politisches Schwergewicht, eine Ikone der Democrazia Cristiana, der christdemokratischen Partei, die Italien über Jahrzehnte dominierte. Doch hinter der Fassade des erfahrenen Staatsmannes verbarg sich ein Netz aus dunklen Allianzen und unheilvollen Geheimnissen. „Il Divo“ beleuchtet diese Schattenseiten auf schonungslose Weise und zeigt, wie Andreotti mit der Mafia, der Vatikanbank und anderen dubiosen Organisationen paktierte, um seine Macht zu sichern.
Visuelle Opulenz und stilistische Brillanz
Sorrentino inszeniert „Il Divo“ mit einer visuellen Wucht, die ihresgleichen sucht. Die Kamera gleitet elegant durch die opulenten Paläste und dunklen Gassen Roms, fängt die Schönheit und den Verfall der Stadt gleichermaßen ein. Die Schnitte sind rasant, die Musik ist eklektisch und die Bilder sind oft surreal und verstörend. Sorrentino nutzt diese Stilmittel, um die innere Zerrissenheit Andreottis widerzuspiegeln und die Atmosphäre der Angst und Paranoia zu verstärken, die in der italienischen Politik der 70er und 80er Jahre herrschte.
Der Film ist ein Fest für die Sinne, ein Kaleidoskop aus Farben, Formen und Klängen, das den Zuschauer in seinen Bann zieht. Doch die visuelle Opulenz dient nicht nur der Ästhetik, sondern ist ein integraler Bestandteil der Erzählung. Sie unterstreicht die Dekadenz und den moralischen Verfall der Machtelite, die sich in ihrem Reichtum und ihrer Selbstherrlichkeit verliert.
Korruption, Verrat und Gewalt: Die dunkle Seite der Macht
„Il Divo“ scheut sich nicht, die brutalen Realitäten der italienischen Politik zu zeigen. Der Film thematisiert die Korruption, den Verrat und die Gewalt, die im Kampf um die Macht allgegenwärtig waren. Wir sehen, wie Politiker ermordet werden, wie Geheimnisse verraten werden und wie die Mafia ihre Fäden im Hintergrund zieht. Sorrentino zeigt uns eine Welt, in der Moral und Ethik keine Rolle spielen, in der nur das nackte Überleben zählt.
Der Film ist keine leichte Kost. Er ist verstörend, provokant und manchmal sogar schockierend. Doch er ist auch ein wichtiges Zeitdokument, das uns die dunkle Seite der Macht vor Augen führt und uns dazu auffordert, wachsam zu bleiben und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Schlüsselszenen: Ein Einblick in Andreottis Welt
Einige Szenen in „Il Divo“ brennen sich besonders ins Gedächtnis ein:
- Die Begegnung mit dem Mafia-Boss: In einer düsteren, fast surrealen Szene trifft Andreotti auf einen hochrangigen Mafia-Boss. Die Szene ist von einer bedrohlichen Stille geprägt, die die latente Gewalt und die unheilvolle Allianz zwischen Politik und organisiertem Verbrechen unterstreicht.
- Die Verhöre vor Gericht: Andreotti muss sich vor Gericht für seine Verbrechen verantworten. Die Verhöre sind ein Katz-und-Maus-Spiel, in dem Andreotti versucht, seine Schuld zu leugnen und seine Macht zu erhalten.
- Die Visionen des Todes: Andreotti wird von Visionen des Todes geplagt. Diese Visionen sind ein Spiegelbild seiner Schuld und seiner Angst vor dem Tod. Sie zeigen uns die innere Zerrissenheit dieses Mannes, der sein Leben der Macht gewidmet hat.
Ein Film, der zum Nachdenken anregt
„Il Divo – Der Göttliche“ ist ein Film, der lange nachwirkt. Er ist ein Porträt eines Mannes, einer Epoche und eines Landes. Er ist eine Meditation über die Macht, die Korruption und die menschliche Natur. Er ist ein Film, der uns dazu auffordert, die Welt um uns herum kritisch zu hinterfragen und uns nicht von den Mächtigen blenden zu lassen.
Sorrentino gelingt es, eine komplexe und vielschichtige Geschichte zu erzählen, die uns sowohl intellektuell als auch emotional berührt. „Il Divo“ ist ein Meisterwerk des modernen Kinos, ein Film, den man gesehen haben muss.
Die Bedeutung des Titels: „Il Divo“
Der Titel „Il Divo“ („Der Göttliche“) ist ironisch gemeint. Er spielt auf Andreottis unantastbare Position in der italienischen Politik an, auf seine Aura der Macht und Unfehlbarkeit. Doch der Film enthüllt, dass hinter der Fassade des „Göttlichen“ ein Mensch aus Fleisch und Blut steckt, mit all seinen Fehlern, Ängsten und Schwächen.
Der Titel ist auch eine Anspielung auf die Opernwelt, in der „Divo“ ein gefeierter Star ist. Andreotti wird im Film als eine Art politischer Opernstar inszeniert, der seine Rolle perfekt beherrscht und das Publikum manipuliert. Doch im Gegensatz zu einem Opernstar, der für seine Kunst bewundert wird, wird Andreotti für seine Skrupellosigkeit und seine Machtgier verurteilt.
Auszeichnungen und Kritiken: Ein gefeiertes Meisterwerk
„Il Divo“ wurde von Kritikern und Publikum gleichermaßen gefeiert. Der Film wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Jurypreis in Cannes, mehrere David di Donatello Awards (die italienischen Oscars) und der Europäische Filmpreis für Toni Servillo als besten Schauspieler. Die Kritiken lobten vor allem Sorrentinos innovative Regie, Servillos herausragende Leistung und die komplexe und vielschichtige Geschichte.
Einige Kritiker bemängelten jedoch die subjektive Darstellung Andreottis und die fehlende historische Genauigkeit. Sie argumentierten, dass der Film zu sehr auf Spekulationen und Gerüchten basiere und kein ausgewogenes Bild von Andreottis politischer Karriere zeichne. Trotz dieser Kritik gilt „Il Divo“ als einer der wichtigsten italienischen Filme der letzten Jahrzehnte.
Der Soundtrack: Eine eklektische Mischung aus Klängen
Der Soundtrack von „Il Divo“ ist so vielfältig und eklektisch wie der Film selbst. Er umfasst klassische Musik, Popmusik, elektronische Musik und traditionelle italienische Musik. Die Musik wird eingesetzt, um die Stimmung der jeweiligen Szene zu unterstreichen, die innere Zerrissenheit Andreottis widerzuspiegeln und die Atmosphäre der Angst und Paranoia zu verstärken.
Einige der bekanntesten Stücke im Soundtrack sind:
- „Amore Disperato“ von Nada: Ein melancholisches Lied, das die Einsamkeit und die Verzweiflung Andreottis widerspiegelt.
- „Stayin‘ Alive“ von den Bee Gees: Ein ironischer Kommentar zur Überlebensfähigkeit Andreottis in der rauen Welt der italienischen Politik.
- Arien aus Opern von Giuseppe Verdi und Giacomo Puccini: Die Opernmusik unterstreicht die dramatische Natur der Geschichte und die Tragik von Andreottis Schicksal.
„Il Divo“ im Kontext der italienischen Geschichte
Um „Il Divo“ vollständig zu verstehen, ist es wichtig, den Film im Kontext der italienischen Geschichte zu betrachten. Andreotti war eine zentrale Figur in der italienischen Nachkriegspolitik, und seine Karriere ist eng mit den turbulenten Ereignissen dieser Zeit verbunden. Der Film thematisiert unter anderem:
- Die „Bleiernen Jahre“: Eine Zeit politischer Gewalt und Terrorismus in den 70er und 80er Jahren.
- Die Mafia: Die allgegenwärtige Präsenz der Mafia in Italien und ihre Verstrickungen in die Politik.
- Die Korruption: Die weit verbreitete Korruption in der italienischen Politik und Wirtschaft.
- Den Fall der Berliner Mauer und das Ende des Kalten Krieges: Diese Ereignisse führten zu einem Umbruch in der italienischen Politik und zum Ende der Democrazia Cristiana.
Fazit: Ein unvergessliches Filmerlebnis
„Il Divo – Der Göttliche“ ist ein Meisterwerk des modernen Kinos, ein Film, der uns in die dunklen Abgründe der Macht führt und uns dazu auffordert, die Welt um uns herum kritisch zu hinterfragen. Toni Servillo liefert eine atemberaubende Leistung als Giulio Andreotti, und Paolo Sorrentino inszeniert den Film mit einer visuellen Wucht und stilistischen Brillanz, die ihresgleichen sucht. „Il Divo“ ist ein unvergessliches Filmerlebnis, das lange nachwirkt.