In der Nacht des 12. – Ein Film, der unter die Haut geht
Der französische Thriller „In der Nacht des 12.“ (Originaltitel: „La Nuit du 12“) ist mehr als nur ein Kriminalfilm; er ist eine beklemmende Auseinandersetzung mit der Obsession der Ermittlung, der Fragilität menschlicher Beziehungen und der allgegenwärtigen Gewalt gegen Frauen. Regisseur Dominik Moll gelingt es, eine Geschichte zu erzählen, die lange nach dem Abspann nachhallt und den Zuschauer mit unbequemen Fragen zurücklässt. Der Film, der 2022 in die Kinos kam, wurde von der Kritik gefeiert und mit mehreren Césars, darunter als Bester Film und für die Beste Regie, ausgezeichnet.
Die Handlung: Ein ungelöster Mord und seine Folgen
Die Geschichte beginnt in einer kalten Nacht in Grenoble. Clara Royer, eine junge Frau, wird auf dem Heimweg von einer Party brutal ermordet. Der Fall landet auf dem Schreibtisch des jungen und ambitionierten Capitaine Vivès (Bastien Bouillon) und seines erfahrenen Kollegen Marceau (Bouli Lanners). Was zunächst wie ein Routinefall aussieht, entpuppt sich schnell als ein komplexes Geflecht aus Spuren, Verdächtigen und Sackgassen.
Vivès und Marceau tauchen tief in Claras Leben ein. Sie befragen Freunde, Familie, Ex-Freunde und Bekannte. Jeder scheint ein Motiv zu haben, doch niemand liefert den entscheidenden Hinweis. Die Ermittlungen ziehen sich über Monate hin, und die Frustration der Polizisten wächst. Der ungelöste Fall beginnt, sie zu belasten und ihre eigenen Leben in Frage zu stellen. Vivès, der gerade erst Vater geworden ist, wird von Albträumen geplagt und beginnt, an der Gerechtigkeit und der Sinnhaftigkeit seiner Arbeit zu zweifeln. Marceau, ein erfahrener Polizist mit einer schwierigen Vergangenheit, kämpft mit seinen eigenen Dämonen und der Ohnmacht, die er angesichts der Gewalt empfindet.
Der Film verzichtet bewusst auf eine herkömmliche Auflösung. Stattdessen konzentriert er sich auf die psychologischen Auswirkungen des Falles auf die Ermittler und die tieferliegenden gesellschaftlichen Probleme, die er offenbart. „In der Nacht des 12.“ ist kein Whodunit, sondern eine Studie über die Obsession, die Ungerechtigkeit und die Männlichkeit, die in solchen Fällen oft eine Rolle spielt.
Die Charaktere: Zwischen Obsession und Ohnmacht
Die Stärke des Films liegt in der vielschichtigen Darstellung seiner Charaktere. Capitaine Vivès ist ein junger, idealistischer Polizist, der von dem Wunsch getrieben wird, Gerechtigkeit zu schaffen. Doch je tiefer er in den Fall eintaucht, desto mehr wird er von der Brutalität der Tat und der Komplexität der menschlichen Natur überwältigt. Bastien Bouillon verkörpert Vivès mit einer beeindruckenden Mischung aus Entschlossenheit und Verletzlichkeit.
Marceau, gespielt von Bouli Lanners, ist das genaue Gegenteil: ein erfahrener, desillusionierter Polizist, der schon viel gesehen hat. Er ist wortkarg und pragmatisch, aber unter seiner rauen Schale verbirgt sich ein tiefes Mitgefühl für die Opfer und ein unerschütterlicher Gerechtigkeitssinn. Lanners verleiht seiner Figur eine beeindruckende Tiefe und Glaubwürdigkeit.
Auch die Nebenfiguren sind sorgfältig gezeichnet und tragen zur Authentizität des Films bei. Die Freunde und Familienangehörigen von Clara, die Verdächtigen und die anderen Polizisten sind keine bloßen Statisten, sondern individuelle Persönlichkeiten mit eigenen Geschichten und Motiven. Sie alle tragen dazu bei, ein komplexes und vielschichtiges Bild der Gesellschaft zu zeichnen.
Die Inszenierung: Authentizität und Atmosphäre
Dominik Moll inszeniert „In der Nacht des 12.“ mit einer bemerkenswerten Authentizität und einem Gespür für Atmosphäre. Die Kameraarbeit ist ruhig und unaufdringlich, fängt aber dennoch die beklemmende Stimmung und die emotionale Intensität der Geschichte ein. Die Drehorte in Grenoble und Umgebung sind realistisch und tragen zur Glaubwürdigkeit des Films bei.
Besonders hervorzuheben ist die Musik von Olivier Marguerit, die subtil und eindringlich ist. Sie unterstreicht die emotionalen Momente des Films, ohne jemals aufdringlich zu wirken. Die Musik trägt maßgeblich dazu bei, die beklemmende Atmosphäre zu erzeugen und die Zuschauer in die Welt der Ermittler hineinzuziehen.
Themen und Motive: Gewalt, Gerechtigkeit und Männlichkeit
„In der Nacht des 12.“ ist ein Film, der viele wichtige Themen anspricht. Im Zentrum steht natürlich die Gewalt gegen Frauen, die im Film auf erschreckende Weise dargestellt wird. Der Film zeigt, wie alltäglich und tief verwurzelt diese Gewalt ist und wie schwer es ist, sie zu bekämpfen.
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Gerechtigkeit. Der Film stellt die Frage, was Gerechtigkeit eigentlich bedeutet und ob sie überhaupt erreichbar ist. Die Ermittler sind ständig mit der Frage konfrontiert, wie sie dem Opfer und ihren Angehörigen Gerechtigkeit widerfahren lassen können, obwohl sie den Täter nicht finden können. Der Film zeigt, dass Gerechtigkeit oft ein unerreichbares Ideal bleibt.
Auch die Rolle der Männlichkeit wird in „In der Nacht des 12.“ kritisch hinterfragt. Die Ermittler sind fast ausschließlich Männer, und der Film zeigt, wie ihre Männlichkeit ihre Arbeit beeinflusst. Sie sind oft von dem Wunsch getrieben, stark und unfehlbar zu sein, was sie daran hindern kann, die Wahrheit zu erkennen. Der Film stellt die Frage, ob traditionelle Männlichkeitsbilder dazu beitragen, Gewalt gegen Frauen zu perpetuieren.
Die Kritik: Ein Meisterwerk des französischen Kinos
„In der Nacht des 12.“ wurde von der Kritik einhellig gelobt. Besonders hervorgehoben wurden die starke Regie, die authentischen Darstellungen und die sensible Auseinandersetzung mit den komplexen Themen. Der Film wurde als ein Meisterwerk des französischen Kinos bezeichnet und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter sechs Césars.
Viele Kritiker lobten auch den Mut des Films, keine einfache Lösung zu präsentieren und stattdessen die Zuschauer mit unbequemen Fragen zurückzulassen. „In der Nacht des 12.“ ist kein Film, der leicht zu verdauen ist, aber er ist ein wichtiger und bewegender Beitrag zur Debatte über Gewalt gegen Frauen und die Grenzen der Gerechtigkeit.
Fazit: Ein Film, der nachwirkt
„In der Nacht des 12.“ ist ein Film, der unter die Haut geht und lange nach dem Abspann nachwirkt. Er ist ein beklemmender und bewegender Thriller, der wichtige Fragen aufwirft und zum Nachdenken anregt. Dominik Moll gelingt es, eine Geschichte zu erzählen, die sowohl spannend als auch tiefgründig ist und die Zuschauer mit einem Gefühl der Ohnmacht und der Hoffnungslosigkeit zurücklässt.
Der Film ist nicht einfach zu konsumieren, aber er ist ein wichtiger Beitrag zur Debatte über Gewalt gegen Frauen und die Grenzen der Gerechtigkeit. „In der Nacht des 12.“ ist ein Film, den man gesehen haben sollte, auch wenn er einen verstört und aufwühlt. Er ist ein Beweis dafür, dass das französische Kino immer noch in der Lage ist, Filme zu produzieren, die sowohl unterhalten als auch zum Nachdenken anregen.
Für Fans von anspruchsvollen Thrillern und Filmen, die sich mit wichtigen gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen, ist „In der Nacht des 12.“ eine absolute Empfehlung. Er ist ein Film, der lange in Erinnerung bleibt und der einen nicht so schnell loslässt.
Auszeichnungen (Auswahl)
Auszeichnung | Kategorie |
---|---|
César | Bester Film |
César | Beste Regie (Dominik Moll) |
César | Bestes adaptiertes Drehbuch |
César | Bester Nebendarsteller (Bouli Lanners) |
César | Beste Nachwuchsdarstellung (Bastien Bouillon) |
César | Bester Ton |