Oben ist es still: Eine ergreifende Geschichte über Liebe, Verlust und Akzeptanz
Inmitten der weiten, friedvollen Landschaft Nordhollands entfaltet sich in „Oben ist es still“ (im Original: „Boven is het stil“) eine tief bewegende Geschichte über Einsamkeit, unterdrückte Sehnsüchte und die langsame, schmerzhafte Suche nach dem eigenen Glück. Der Film, unter der Regie von Nanouk Leopold, ist eine meisterhafte Studie über das Leben des wortkargen Bauern Helmer, der nach dem Tod seines Vaters gezwungen ist, sich seiner eigenen Vergangenheit und den ungesagten Wahrheiten seiner Familie zu stellen.
Die Stille der Landschaft, die Stille der Seele
Helmer, brillant verkörpert von Jeroen Willems, ist ein Mann der wenigen Worte. Seine Tage sind geprägt von harter Arbeit auf dem elterlichen Hof, der ihm mehr Last als Freude zu sein scheint. Nach dem Tod des Vaters, der die Familie mit strenger Hand geführt hat, ändert sich Helmers Leben schlagartig. Er ist nun allein verantwortlich für den Hof und muss sich gleichzeitig um seinen behinderten Bruder Henk kümmern, der sein Leben lang auf die Hilfe anderer angewiesen war. Die Stille, die den Hof umgibt, ist nicht nur die Stille der ländlichen Umgebung, sondern auch die Stille in Helmers Seele – eine Stille, die gefüllt ist mit unterdrückten Gefühlen und unerfüllten Wünschen.
Die Beziehung zwischen Helmer und Henk ist komplex und vielschichtig. Helmer kümmert sich um seinen Bruder, doch Zuneigung zeigt er ihm kaum. Henk ist auf Helmer angewiesen, spürt aber gleichzeitig die Distanz und die unterschwellige Frustration seines Bruders. Die beiden Männer leben nebeneinander her, gefangen in einem Kreislauf aus Routine und Resignation.
Die Ankunft eines jungen Mannes
Das Leben auf dem Hof nimmt eine unerwartete Wendung, als der junge und attraktive Johan (gespielt von Martijn Lakemeier) als Knecht auf den Hof kommt. Johan ist das genaue Gegenteil von Helmer: offen, lebensfroh und unbefangen. Seine Anwesenheit bringt frischen Wind in das verstaubte Bauernhaus und weckt in Helmer Gefühle, die er lange Zeit verdrängt hat. Zwischen den beiden Männern entwickelt sich eine zarte und subtile Anziehung, die Helmers Weltbild ins Wanken bringt.
Johan wird für Helmer zu einem Katalysator. Er erinnert ihn an seine eigene Jugend und an die Träume, die er einst hatte. Durch Johan beginnt Helmer, seine eigene Sexualität zu hinterfragen und sich mit den gesellschaftlichen Normen auseinanderzusetzen, die ihn sein Leben lang eingeengt haben. Doch die Angst vor Ablehnung und die Furcht vor den Konsequenzen halten ihn zurück.
Eine Geschichte der Selbstfindung
„Oben ist es still“ ist keine reine Liebesgeschichte, sondern vielmehr eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Themen wie Einsamkeit, Identität, Familie und der Suche nach dem eigenen Platz in der Welt. Der Film zeigt auf eindringliche Weise, wie schwer es sein kann, aus den Zwängen der eigenen Vergangenheit auszubrechen und den Mut zu finden, seinen eigenen Weg zu gehen.
Nanouk Leopold gelingt es, die inneren Konflikte ihrer Protagonisten mit großer Sensibilität und Authentizität darzustellen. Die Dialoge sind sparsam, aber aussagekräftig, und die Bilder sprechen für sich. Die karge Landschaft Nordhollands wird zu einem Spiegel der inneren Welt Helmers, der sich wie die weiten Felder und die grauen Himmel unendlich und leer anfühlt.
Visuelle Poesie und schauspielerische Meisterleistungen
Die Kameraführung von Frank van den Eeden ist schlicht und unaufdringlich, fängt aber gleichzeitig die Schönheit und die Melancholie der Landschaft auf eindrucksvolle Weise ein. Die Farbpalette des Films ist gedeckt und zurückhaltend, was die Atmosphäre der Isolation und der Entfremdung noch verstärkt. „Oben ist es still“ ist ein visuell beeindruckender Film, der durch seine poetische Bildsprache und seine subtile Inszenierung besticht.
Neben der herausragenden Regie und der beeindruckenden Kameraarbeit ist es vor allem die schauspielerische Leistung von Jeroen Willems, die den Film zu einem unvergesslichen Erlebnis macht. Willems verkörpert Helmer mit einer unglaublichen Intensität und Authentizität. Er spielt einen Mann, der innerlich zerrissen ist, aber seine Gefühle hinter einer Fassade der Stärke und der Schweigsamkeit verbirgt. Willems‘ Darstellung ist so nuanciert und subtil, dass man als Zuschauer mit Helmer mitfühlt und seine inneren Kämpfe miterlebt. Seine Performance wurde zu Recht mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Auch Martijn Lakemeier überzeugt als Johan mit seiner Natürlichkeit und seinem Charme. Er verkörpert die Lebensfreude und die Unbeschwertheit, die Helmer so sehr vermisst. Lakemeier spielt Johan als einen jungen Mann, der sich seiner eigenen Attraktivität bewusst ist, aber gleichzeitig auch sensibel und mitfühlend ist.
Themen und Interpretationen
„Oben ist es still“ ist ein Film, der viele verschiedene Interpretationen zulässt. Er kann als eine Geschichte über die Schwierigkeit der Kommunikation innerhalb von Familien gelesen werden, als eine Auseinandersetzung mit dem Thema Homosexualität in einer konservativen Gesellschaft oder als eine allgemeine Reflexion über die menschliche Suche nach Liebe und Akzeptanz.
Ein zentrales Thema des Films ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität. Helmer hat sein Leben lang versucht, den Erwartungen seiner Familie und der Gesellschaft zu entsprechen. Er hat seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse unterdrückt, um den Hof zu bewirtschaften und sich um seinen Bruder zu kümmern. Erst durch die Begegnung mit Johan beginnt er, sein eigenes Leben zu hinterfragen und sich zu fragen, was er wirklich will.
Ein weiteres wichtiges Thema des Films ist die Bedeutung von Familie. Helmer hat eine schwierige Beziehung zu seinem Vater und zu seinem Bruder. Er fühlt sich für sie verantwortlich, aber gleichzeitig auch von ihnen eingeengt. Der Film zeigt, wie wichtig es ist, sich von den Erwartungen der Familie zu lösen und seinen eigenen Weg zu gehen. Er zeigt aber auch, dass Familie ein wichtiger Anker sein kann, der Halt und Unterstützung gibt.
Fazit: Ein Film, der lange nachwirkt
„Oben ist es still“ ist ein berührender und nachdenklicher Film, der lange im Gedächtnis bleibt. Er ist ein Meisterwerk des europäischen Kinos, das durch seine subtile Inszenierung, seine eindringliche Atmosphäre und seine herausragenden schauspielerischen Leistungen besticht. Der Film ist ein Plädoyer für die Akzeptanz, die Toleranz und die Selbstverwirklichung. Er ist ein Appell, den Mut zu finden, aus den Zwängen der Vergangenheit auszubrechen und sein eigenes Glück zu suchen.
Auszeichnungen (Auswahl)
| Auszeichnung | Jahr | Kategorie |
|---|---|---|
| Niederländisches Filmfestival | 2013 | Bestes Drehbuch |
| Niederländisches Filmfestival | 2013 | Beste Regie |
| Niederländisches Filmfestival | 2013 | Bestes Produktionsdesign |
| Internationales Filmfestival von Montreal | 2013 | Grand Prix des Amériques (Nominiert) |
Besetzung
- Jeroen Willems als Helmer
- Henri Garcin als Vater
- Wim Opbrouck als Johan
- Marnix Kappers als Henk
- Lies Visschedijk als Ada
- Martijn Lakemeier als Jongen
Lassen Sie sich von „Oben ist es still“ berühren und inspirieren. Ein Film, der die Stille spricht und die Seele bewegt.
