Onibaba: Eine Reise in die Tiefen menschlicher Abgründe und die Kraft der Überlebens
Betritt eine Welt, in der die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen, in der Hunger, Angst und Aberglaube das Handeln bestimmen. Onibaba, ein Meisterwerk des japanischen Kinos von Regisseur Kaneto Shindō aus dem Jahr 1964, ist mehr als nur ein Film – es ist eine intensive, beklemmende Erfahrung, die lange nach dem Abspann nachhallt. Wir tauchen ein in eine Geschichte von zwei Frauen, Mutter und Schwiegertochter, die in einem trostlosen Schilfmeer ums Überleben kämpfen, während sie gleichzeitig mit ihren eigenen inneren Dämonen ringen.
Die Geschichte: Ein Kampf ums Überleben in Zeiten des Krieges
Die Handlung von Onibaba ist simpel, doch ihre emotionale Tiefe ist immens. Irgendwann im 14. Jahrhundert, inmitten eines Bürgerkriegs, haben sich eine ältere Frau (gespielt von Nobuko Otowa) und ihre junge Schwiegertochter (gespielt von Jitsuko Yoshimura) in ein weitläufiges Schilfmeer zurückgezogen. Sie überleben, indem sie versprengte Samurai auflauern, töten und deren Habseligkeiten gegen Nahrungsmittel eintauschen. Das Schilf bietet ihnen Schutz, doch es ist auch ein Ort der Isolation, der Angst und des ständigen Misstrauens.
Als ein Nachbar namens Hachi (gespielt von Kei Satō) von der Front zurückkehrt, bringt er nicht nur Neuigkeiten vom Tod des Sohnes und Ehemannes der beiden Frauen, sondern auch eine neue Dynamik in ihr Verhältnis. Die junge Frau, von Sehnsucht und Verlangen getrieben, beginnt eine Affäre mit Hachi, was die Mutter mit Eifersucht und Sorge beobachtet. Sie fürchtet, dass die Affäre ihre Überlebensgrundlage gefährdet und die junge Frau von ihrem eigentlichen Ziel, dem Überleben, ablenkt. Es beginnt ein psychologisches Katz-und-Maus-Spiel, in dem die Mutter versucht, die Affäre zu beenden, koste es, was es wolle.
Die Charaktere: Gefangen zwischen Instinkt und Moral
Die Stärke von Onibaba liegt in der komplexen Darstellung seiner Charaktere. Keine der Figuren ist rein gut oder böse. Sie sind gezeichnet von den harten Bedingungen, unter denen sie leben, und handeln oft aus purem Überlebensinstinkt.
- Die Mutter: Sie ist die pragmatische Überlebende, deren Handlungen oft von Berechnung und Härte geprägt sind. Sie hat gelernt, ihre Gefühle zu unterdrücken, um in einer Welt zu bestehen, die keine Gnade kennt. Doch unter ihrer rauen Fassade verbirgt sich eine tiefe Angst um ihre Schwiegertochter und die Sorge, ihre einzige Bezugsperson zu verlieren.
- Die Schwiegertochter: Sie ist die Verkörperung von Jugend, Sehnsucht und Lebensfreude. Sie sehnt sich nach Liebe und Geborgenheit, die ihr in der trostlosen Umgebung verwehrt bleiben. Ihre Affäre mit Hachi ist ein verzweifelter Versuch, dem Elend zu entkommen und ein Stück Menschlichkeit zurückzugewinnen.
- Hachi: Er ist ein Mann, der vom Krieg gezeichnet ist. Er ist opportunistisch und rücksichtslos, aber auch von einer gewissen Verzweiflung getrieben. Er nutzt die Schwäche der jungen Frau aus, um seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, doch er ist auch ein Opfer der Umstände.
Visuelle Poesie: Das Schilf als Spiegel der Seele
Die visuelle Gestaltung von Onibaba ist atemberaubend. Das Schilfmeer ist mehr als nur eine Kulisse – es ist ein lebendiger, atmender Organismus, der die Emotionen und inneren Konflikte der Charaktere widerspiegelt. Die hohen Halme wiegen sich im Wind, rauschen unaufhörlich und scheinen die Geheimnisse und Sünden der Frauen zu flüstern. Die Schwarzweiß-Fotografie von Kiyomi Kuroda verstärkt die düstere Atmosphäre und verleiht dem Film eine zeitlose Qualität.
Shindō setzt das Schilfmeer meisterhaft ein, um ein Gefühl der Klaustrophobie und Isolation zu erzeugen. Die Frauen sind gefangen in diesem grünen Labyrinth, ohne Ausweg, ohne Hoffnung auf Erlösung. Die langen Einstellungen, die langsamen Kamerafahrten und die kontrastreichen Lichtverhältnisse erzeugen eine hypnotische Wirkung, die den Zuschauer tief in die Welt des Films hineinzieht.
Themen und Motive: Eine Allegorie über Krieg, Gier und Aberglaube
Onibaba ist reich an thematischer Tiefe und bietet vielfältige Interpretationsansätze.
- Krieg und seine Folgen: Der Film ist eine schonungslose Darstellung der verheerenden Auswirkungen des Krieges auf die menschliche Seele. Er zeigt, wie Gewalt, Hunger und Angst die Menschen entmenschlichen und zu Bestien machen.
- Gier und Überleben: Die Frauen sind gezwungen, zu töten, um zu überleben. Ihre Gier nach Nahrung und Habseligkeiten treibt sie zu immer extremeren Handlungen. Der Film stellt die Frage, wie weit man gehen darf, um das eigene Leben zu retten.
- Sexualität und Unterdrückung: Die Sexualität der jungen Frau ist ein zentrales Thema des Films. Sie wird als eine Quelle der Sehnsucht, aber auch der Gefahr dargestellt. Die Mutter versucht, die sexuelle Freiheit ihrer Schwiegertochter zu unterdrücken, um ihre eigene Kontrolle zu bewahren.
- Aberglaube und Angst: Der Film spielt mit traditionellen japanischen Glaubensvorstellungen und Aberglauben. Die Maske des gefallenen Samurai, die die Mutter trägt, wird zu einem Symbol der Angst, der Schuld und der Verdammnis.
Die Maske: Ein Symbol der Verwandlung und des Schreckens
Ein Schlüsselelement in Onibaba ist die Maske des gefallenen Samurai. Nachdem die Mutter einen Samurai getötet und seine Rüstung an sich genommen hat, um sich vor den Bewohnern eines nahegelegenen Dorfes zu schützen, bleibt die dämonische Maske zurück. Bei dem Versuch, die Affäre der jungen Frau zu unterbinden, lockt die Mutter Hachi in eine Grube, wo er stirbt. Sie stiehlt seine Kleidung und wirft diese, zusammen mit der Maske in die Grube. Auf dem Rückweg verfängt sich die Mutter in einem Erdloch. Die junge Frau befreit sie und verlangt die Wahrheit über Hachi. Im darauffolgenden Gerangel fällt die Maske in das Gesicht der Mutter, die diese nicht mehr abnehmen kann.
Die Maske steht für die Verwandlung der Mutter in ein Monster, symbolisiert aber auch die Entfremdung des Menschen von seiner eigenen Menschlichkeit. Sie ist ein Mahnmal für die Schrecken des Krieges und die zerstörerische Kraft der Gier. Die Maske ist aber auch ein Spiegelbild der inneren Dämonen der Mutter, ihrer Ängste, ihrer Eifersucht und ihrer Schuldgefühle.
Der Einfluss von Onibaba: Ein Meisterwerk des japanischen Kinos
Onibaba ist ein wegweisender Film, der das japanische Kino nachhaltig beeinflusst hat. Er hat zahlreiche Auszeichnungen gewonnen und gilt heute als einer der wichtigsten Filme der japanischen Filmgeschichte.
Der Film zeichnet sich durch seine innovative Kameraarbeit, seine suggestive Musik und seine kraftvollen schauspielerischen Leistungen aus. Er hat Filmemacher auf der ganzen Welt inspiriert und wird bis heute für seine einzigartige Ästhetik und seine tiefgründigen Themen gefeiert.
Onibaba ist ein Film, der unter die Haut geht und den Zuschauer nicht unberührt lässt. Er ist eine intensive, beklemmende Erfahrung, die lange nach dem Abspann nachhallt. Wer sich auf diese Reise in die Tiefen menschlicher Abgründe einlässt, wird mit einem unvergesslichen Filmerlebnis belohnt.
Fazit: Ein Film, der zum Nachdenken anregt
Onibaba ist mehr als nur ein Horrorfilm oder ein Kriegsfilm. Es ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den existenziellen Fragen des menschlichen Lebens. Er stellt die Frage nach der Natur des Bösen, nach der Bedeutung von Moral und nach der Möglichkeit der Erlösung. Onibaba ist ein Film, der zum Nachdenken anregt und den Zuschauer dazu auffordert, sich mit seinen eigenen inneren Dämonen auseinanderzusetzen.
Es ist ein Film, den man gesehen haben muss, um die ganze Bandbreite des japanischen Kinos zu verstehen. Er ist ein Meisterwerk, das noch lange in Erinnerung bleibt.
Wertung: 5 von 5 Sternen