Schlingensiefs Hamlet: Ein radikaler Trip in die deutsche Seele
Christoph Schlingensiefs „Hamlet – Dies ist dein Dänemark!“ ist weit mehr als eine bloße Adaption von Shakespeares Tragödie. Es ist ein fieberhafter, schmerzhafter, zutiefst verstörender und gleichzeitig unglaublich faszinierender Trip in die deutsche Seele nach der Wiedervereinigung. Ein Spiegelbild einer Nation, die sich selbst sucht, sich windet, sich verliert und sich neu erfindet. Wer sich auf diesen Film einlässt, wird mit einem unvergesslichen, wenn auch unbequemen Kinoerlebnis belohnt.
Die Handlung: Hamlet in der Nervenheilanstalt Deutschland
Schlingensief verlegt die Handlung von Hamlet in eine heruntergekommene Nervenheilanstalt, die als Metapher für den Zustand Deutschlands nach dem Fall der Mauer dient. Hier irren Geister der Vergangenheit umher, während die Gegenwart von Korruption, Machtmissbrauch und einer tiefen Identitätskrise geprägt ist. Tom Dokoupil verkörpert Hamlet als einen manisch-depressiven Intellektuellen, der am Zustand seiner Familie und seines Landes verzweifelt. Sein Onkel Claudius, gespielt von Udo Kier, ist ein skrupelloser Machtmensch, der sich des Thrones bemächtigt hat und das Land in den Ruin treibt. Gertrud, Hamlets Mutter, dargestellt von Margit Carstensen, ist eine gebrochene Frau, die zwischen ihrem Gewissen und ihren Trieben gefangen ist.
Ophelia, in der Interpretation von Marie Goyette, ist keine passive Marionette, sondern eine junge Frau, die unter dem Druck der Verhältnisse zerbricht und in den Wahnsinn getrieben wird. Die bekannten Figuren des Dramas werden zu Karikaturen ihrer selbst, zu Spiegelbildern der deutschen Befindlichkeiten. Sie sind Opfer und Täter zugleich, Gefangene ihrer eigenen Geschichte und unfähig, aus ihr auszubrechen.
Schlingensiefs Inszenierung: Ein Alptraum in Zelluloid
Schlingensiefs Inszenierung ist radikal und kompromisslos. Er bricht mit allen Konventionen des klassischen Theaters und Kinos. Die Kameraführung ist rastlos, die Schnitte sind abrupt, die Dialoge sind fragmentarisch und die Musik ist dissonant. Er verwendet Laiendarsteller und Profischauspieler, mischt Realität und Fiktion, Theater und Film. Das Ergebnis ist ein verstörendes und hypnotisches Kaleidoskop von Bildern und Tönen, das den Zuschauer in einen Zustand des Unbehagens und der Verunsicherung versetzt.
Schlingensief scheut sich nicht, Tabus zu brechen und provokante Bilder zu zeigen. Er thematisiert die deutsche Vergangenheit, den Nationalsozialismus, die Teilung Deutschlands und die Schwierigkeiten der Wiedervereinigung. Er kritisiert den Konsumismus, die Oberflächlichkeit und die politische Korruption. Er konfrontiert den Zuschauer mit den dunklen Seiten der menschlichen Natur, mit Gewalt, Wahnsinn und Tod.
Die Bedeutung des Films: Ein Mahnmal der deutschen Geschichte
„Hamlet – Dies ist dein Dänemark!“ ist mehr als nur ein Film. Er ist ein Manifest, eine Abrechnung, ein Aufschrei. Er ist ein Mahnmal der deutschen Geschichte und eine Warnung vor den Gefahren des Nationalismus, des Rassismus und der Intoleranz. Er ist ein Appell an die Menschlichkeit, an die Vernunft und an die Verantwortung jedes Einzelnen.
Schlingensief zeigt uns, dass die Geister der Vergangenheit noch immer unter uns weilen und dass wir uns mit ihnen auseinandersetzen müssen, um eine bessere Zukunft zu gestalten. Er fordert uns auf, unsere eigenen Vorurteile und Ängste zu hinterfragen und uns für eine offene und tolerante Gesellschaft einzusetzen.
Die Schauspieler: Ein Ensemble am Rande des Wahnsinns
Die Schauspieler in „Hamlet – Dies ist dein Dänemark!“ leisten eine außergewöhnliche Leistung. Sie verkörpern ihre Figuren mit einer Intensität und Hingabe, die unter die Haut geht.
- Tom Dokoupil als Hamlet: Er spielt den dänischen Prinzen als einen zerrissenen Intellektuellen, der am Wahnsinn der Welt verzweifelt. Seine Darstellung ist manisch, depressiv, wütend und traurig zugleich.
- Udo Kier als Claudius: Er verkörpert den skrupellosen Machtmenschen mit einer diabolischen Eleganz. Seine Präsenz ist bedrohlich und faszinierend zugleich.
- Margit Carstensen als Gertrud: Sie spielt die Königin als eine gebrochene Frau, die zwischen ihrem Gewissen und ihren Trieben gefangen ist. Ihre Darstellung ist melancholisch und berührend.
- Marie Goyette als Ophelia: Sie verkörpert Ophelia als eine junge Frau, die unter dem Druck der Verhältnisse zerbricht und in den Wahnsinn getrieben wird. Ihre Darstellung ist fragil und intensiv.
Kontroversen und Reaktionen: Ein Film spaltet die Gemüter
„Hamlet – Dies ist dein Dänemark!“ war von Anfang an umstritten. Viele Kritiker warfen Schlingensief Provokation und Respektlosigkeit vor. Sie kritisierten seine radikale Inszenierung, seine Tabubrüche und seine politische Agitation. Andere lobten ihn für seinen Mut, seine Kreativität und seine Ehrlichkeit. Sie sahen in seinem Film ein wichtiges Zeitdokument und ein künstlerisches Meisterwerk.
Das Publikum reagierte gespalten auf den Film. Einige waren schockiert und abgestoßen, andere waren begeistert und fasziniert. „Hamlet – Dies ist dein Dänemark!“ polarisierte und provozierte, regte aber auch zum Nachdenken und zur Diskussion an.
Fazit: Ein Meisterwerk des deutschen Kinos
Trotz aller Kontroversen und Kritik ist „Hamlet – Dies ist dein Dänemark!“ ein Meisterwerk des deutschen Kinos. Er ist ein Film, der uns nicht loslässt, der uns herausfordert und der uns zwingt, uns mit uns selbst und unserer Geschichte auseinanderzusetzen. Er ist ein Film, der uns schmerzt, der uns verstört und der uns gleichzeitig Hoffnung gibt. Er ist ein Film, den man gesehen haben muss, um ihn zu verstehen.
Weitere Informationen:
Regie: | Christoph Schlingensief |
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Drehbuch: | Christoph Schlingensief, William Shakespeare (Vorlage) |
Darsteller: | Tom Dokoupil, Udo Kier, Margit Carstensen, Marie Goyette |
Erscheinungsjahr: | 2002 |
Länge: | 86 Minuten |
Empfehlung: Wer sich für das Werk von Christoph Schlingensief interessiert, sollte sich auch seine anderen Filme und Theaterstücke ansehen. Besonders empfehlenswert sind „Die 120 Tage von Bottrop“, „United Trash“ und „Atta Atta – Die Kunst ist ausgebrochen“.