Annette – Vorab Kino-/ Streaming Review | Alamode Film | 15.12.2021

Annette Film 2022 Kino Trailer Blu-ray DVD Artikelbild

Der Film „Annette“ mit Adam Driver und Marion Cotillard läuft ab dem 16. Dezember 2021 im Kino, wird ab April auf Blu-ray und DVD erhältlich sein und wir haben schon jetzt das Review dazu:

Fast zehn Jahre lang ließ sich der eigenwillige französische Regisseur Leos Carax nach „Holy Motors“ (2012) Zeit, um wieder einen neuen Film zu veröffentlichen. Die Filmographie des Regisseurs besticht ohnehin weniger durch Quantität als durch Qualität und vor allem Exzentrik. Mit „Annette“ geht Carax ebenfalls experimentierfreudig zu Werke – nicht nur handelt es sich um seinen ersten englischsprachigen Film, sondern auch um einen lupenreinen Musicalfilm. „Annette“ durfte die 74. Internationalen Filmfestspiele von Cannes am 06. Juni 2021 eröffnen und den Sieg in der Kategorie „Beste Regie“ einfahren. Ein durchaus nicht zu verachtendes Qualitätssiegel, und wir prüfen, ob ihm der Film gerecht wird.

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Inhaltsverzeichnis

Story:

Henry McHenry (Adam Driver) ist ein Comedian, dessen Shows mit ihren provokanten, schwarzhumorigen und zynischen Inhalten nicht nur auf Wohlwollen treffen. Im Gegensatz dazu läuft die Karriere seiner frischen Liebe und Verlobten, der Opernsängerin Ann (Marion Cotillard), überaus erfolgreich. Musikalisch unterstützt wird Ann von ihrem Dirigenten (Simon Helberg), mit dem sie in der Vergangenheit ein Verhältnis hatte. Die Geburt Henrys und Anns ersten Kindes, Annette, welche den Körper einer Puppe zu haben scheint, ist nicht nur medienwirksam, sondern auch schicksalhaft. Von nun an läuft die ohnehin an mehreren Fronten angespannte Lage nämlich zusehends aus dem Ruder…

Eindruck:

Noch bevor man sich genauer mit der Inhaltsebene von „Annette“ befasst, dürfte es sich innerhalb der ersten 15 Minuten entscheiden, ob man zunächst an der äußeren Form des Films Gefallen findet, die sicher nicht jeden Geschmack trifft. Es handelt sich um ein Musical, sodass gesprochene Dialoge eine Rarität sind. Wo in anderen Filmen gesprochen wird, wird hier zumeist gesungen, und zwar auch dann, wenn ein privates Gespräch zwischen zwei Charakteren stattfindet.

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Die Auswahl der Songs, welche aus der Feder der Brüder Ron und Russell Mael von der Art-Rock Band „Sparks“ stammen, ist dabei vortrefflich und offenbart neben dem schauspielerischen Können auch ungeahnte Gesangstalente der Hauptdarsteller. Die eröffnende gesangliche Darbietung „So May We Start?“, welche auch gleich die zentralen Figuren präsentiert, verlangt noch etwas nach Eingewöhnung und auch nach der Bereitschaft, sich auf „Annette“ überhaupt einzulassen. Diese vorausgesetzt, dürfte man sich der Sogwirkung, welche sich durch das Zusammenspiel von Musik und Bildern im Laufe des Films entfaltet, kaum mehr entziehen können. Von der Leichtigkeit und Beschwingtheit, die der eröffnende Song mit sich bringt, ist dann auch nicht mehr viel zu spüren, denn wenn die Geschichte des Films immer mehr auf einen Abgrund zusteuert, nimmt die Musik zur damit einhergehenden finsteren Grundstimmung eine komplementäre Rolle ein. So sind es düstere und melancholische Stücke wie das prominent eingesetzte „We Love Each Other So Much“, „Girl From The Middle Of Nowhere“, „Let’s Waltz In The Storm!“ oder das furiose und in Verbindung mit der Handlungsebene konsequente Abschlussduett „Sympathy For The Abyss“, welche die Tonalität maßgeblich prägen.

So gelungen diese Songs für sich genommen auch sind, ohne die bildliche Untermalung würden sie nur einen Teil ihrer Wirkung erzielen. Hier soll natürlich nichts vorweg genommen werden. Gesagt sei aber so viel, dass der Film durch den weitreichenden Verzicht auf gesprochene Dialoge, den Einsatz der Musik und die visuell herausragenden Bildkompositionen erlesene Einflüsse sowohl aus Musical als auch aus Arthouse-Film zusammenbringt und in sich vereint. So entsteht eine Vielzahl an Momenten, die auf mehreren Ebenen im Gedächtnis bleiben und noch eine ganze Weile nach dem Film nachwirken. Mir ist nicht bekannt, ob die Songs in der deutschen Synchronfassung des Films auch neu vertont sind, zur Sicherheit ist es aber unbedingt zu empfehlen, „Annette“ in der Originalversion zu sehen. Anderenfalls läuft man Gefahr, sich eines großen Teils des Erlebnisses zu berauben.

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Neben all diesen ästhetischen Vorzügen erzählt „Annette“ freilich eine Geschichte, welche es ebenfalls in sich hat. Mit Henry stellt die Handlung eine Figur voller seelischer Abgründe in den Mittelpunkt, die sich bereits sehr früh andeuten und im Laufe des Films immer stärker hervortreten. Wer das Ganze schon zu Beginn für abgedreht hält, darf sich sicher sein, dass der Gipfel noch längst nicht erreicht ist. Doch nicht nur der sowohl abstoßende als auch faszinierende und spannende Charakter Henry ist es, der die Geschichte von „Annette“ ausmacht. In den 140 Minuten dreht sie sich um eine wahre Vielzahl an Themen. Liebe, Verzweiflung, der Tod, aber auch Ausbeutung im Showbusiness oder sexuelle Belästigung – all das und mehr spielt eine mal größere, mal kleinere Rolle.

Auch das Verhältnis zwischen Kunst beziehungsweise Kunstschaffendem und dem Publikum, oder anders ausgedrückt die Vermittlung der Kunst an das Publikum, nimmt der Film in erster Linie mittels der bissigen und pointierten Comedy-Auftritte Henrys in den Blick. Und damit ist dann noch kein Wort über die titelgebende Annette, die Tochter Henrys und Anns, gesagt. Was hat es mit dem unheimlichen Puppenkörper, der (jedenfalls bei mir) nahezu schon ins Uncanny Valley fällt, auf sich, an dem offenbar niemand Anstoß nimmt? Handelt es sich dabei vielleicht um eine Visualisierung dessen, wie Henry seine Tochter wahrnimmt? Dies ist nur eine von vielen Fragen, über die sich nach der Sichtung von „Annette“ trefflich diskutieren und philosophieren ließe. Obwohl sich der Film thematisch viel vornimmt, wirkt die Geschichte niemals überladen oder überambitioniert – vielleicht gerade auch deswegen, weil er anstatt gesprochener Dialoge lieber die Musik sprechen lässt und dem Zuschauer Raum zur eigenen Reflexion lässt.

Fazit:

Mit „Annette“ bereichert Leos Carax die Filmwelt um eine kleine Perle. Es handelt sich um einen ausdrucksstarken Film, der eine nachhaltige Wirkung entfaltet und den Sinnen sowohl auf auditiver als auch visueller Ebene ein Fest bietet.

(Pascal Weber)
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