I Care a Lot – Streaming-Review | Netflix

I Care a Lot Film 2022 Streaming Review Artikelbild

Seit kurzem kann man den Film „I Care a Lot“ auf Netflix sehen und wir haben das Review dazu:

„I Care a Lot“ ist der fünfte Spielfilm des britischen Regisseurs J. Blakeson. Einem breiteren Publikum dürfte dieser vor allem für die Inszenierung des Science-Fiction-Katastrophenfilms „Die 5. Welle“ bekannt sein, welcher 2016 bei Kritikern und Zuschauern eher gemischte Gefühle hervorrief. Bei „I Care a Lot“ aber zeichnet Blakeson nicht nur für die Regie, sondern auch für das Drehbuch und die Produktion verantwortlich. Offenbar ein Herzensprojekt also, das 2020 beim Toronto International Film Festival debütierte, 2021 dann via Netflix einem breiteren Publikum zugänglich wurde und durchaus einen kleinen Hype generieren konnte.

Story:

Die Aufsteigerin Marla Grayson (Rosamund Pike) betreibt ein Pflegeheim für alte Menschen, vor allem Demenzkranke. Ihre Patienten sind strategisch gewählt, da sie reich und größtenteils einsam sind. So kann Marla die Patienten um deren Vermögen prellen und ihren eigenen Reichtum vermehren. Als es ihr gelingt, die Einweisung der sehr wohlhabenden Seniorin Jennifer Peterson (Dianne Wiest) juristisch zu erwirken, ändert sich jedoch etwas: Entgegen der sorgfältig durchgeführten Recherchen hat Jennifer einen Sohn. Dabei handelt es sich um den Gangsterboss Roman Lunyov (Peter Dinklage), der mit der Russenmafia zusammenarbeitet. Nachdem seine Versuche, seine Mutter Jennifer auf juristischem Weg aus dem Pflegeheim zu bekommen, scheitern, wird es höchst gefährlich für Marla und diejenigen, die ihr nahe stehen…

I Care a Lot Film 2022 Streaming Review Szenenbild

Eindruck:

Schaffen wir zunächst das Unangenehme aus dem Weg: „I Care a Lot“ hat ein paar wenige Schönheitsfehler. In den Details ist am Drehbuch einiges arg zusammenkonstruiert, wobei wir nun um leichte Spoiler nicht herumkommen. So ist es beispielsweise unnötig umständlich, Marlas Freundin Fran (Eiza González) kurz vor einer geplanten Reise nochmal nach Hause fahren zu lassen, um vergessene Reisepässe zu holen, sodass sie exakt zeitgleich mit einem gedungenen Schlägertrupp dort eintrifft und Opfer eines brutalen Übergriffs wird. Eleganter wäre es gewesen, diesen Übergriff einfach dann stattfinden zu lassen, wenn Fran sich ohnehin noch zu Hause befunden hätte. Beim hirnrissigen Vorgehen der Gangsterschergen, die für Roman arbeiten, fragt man sich denn auch an der einen oder anderen Stelle, wie er es mit diesem Trupp bitte geschafft hat, ein florierendes Verbrecherunternehmen auf die Beine zu stellen.

Es gibt da also durchaus ein paar Einzelheiten im Drehbuch, die ungeschickt angelegt sind. Dabei handelt es sich im Gesamtbild aber um Marginalien, welche den Gesamteindruck nicht schmälern. Denn trotz dieser leichten erzählerischen Schwächen ist „I Care a Lot“ ist ein großartiger Film. Und er ist vor allem die Sorte Film, die zwischen den zum großen Teil austauschbaren Mainstream-Produktionen dringend gebraucht wird.

Die Protagonistin Marla ist eine hervorragend angelegte Manifestation eines kapitalistischen Systems. Dabei geht es, wie in vielen anderen kapitalismuskritischen Filmen, jedoch nicht um den Kapitalismus, welcher sich auf Kosten einer gesellschaftlichen Unterschicht ausbreitet. Vielmehr entspringt Marlas kapitalistisches Denken, das auf kompromisslose Gewinnmaximierung ausgerichtet ist, dem Umstand, dass sie sich selbst aus ärmlicheren Verhältnissen hocharbeiten musste. Der von ihr verkörperte Kapitalismus bereichert sich an wohlhabenden Menschen, deren langsam beginnende Unfähigkeit, weiterhin selbst für sich und ihren Besitz einzustehen, gnadenlos ausgeschlachtet wird. Damit zusammenhängend bedient sich Marla sichtlich auch der Denkweise des Machiavellismus, ein Begriff, der auf den italienischen Philosophen, Diplomaten und Schriftsteller Niccolò Machiavelli zurückgeht, der im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert lebte und wirkte. Ihr geht es um nichts anderes als das Erreichen der eigenen Ziele und das Optimieren der eigenen Vorteile ohne Rücksichtnahme auf moralisch und ethisch angebrachtes Verhalten.

 

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Obwohl größtenteils aus der Sicht Marlas erzählt, steht „I Care a Lot“ nie auf ihrer Seite, und er vollbringt es, auch ohne große Hinweise deutliche Kritik an ihren Machenschaften zu üben. Insbesondere stellt der Film implizit bereits in seinem Verlauf, vor allem aber am Ende, das hier natürlich nicht vorweggenommen wird, die Frage, wie weit Marla ihr Spiel wohl treiben kann, bis ihr auf die eine oder andere Art und Weise der Riegel vorgeschoben wird. Beeindruckend ist zudem vor allem, dass es dem Film mühelos gelingt, uns Marlas rücksichtloses, gewinnorientiertes Denken und ihre Philosophie näherzubringen – bereits in den ersten Minuten wird deutlich gemacht, wie sie sich selbst in einer Welt des harten geschäftlichen und finanziellen Konkurrenzkampfes wahrnimmt – und sie dennoch nie gänzlich unsympathisch wirken zu lassen. Nie verliert der Film den Blick dafür, dass ihr Vorgehen moralisch zwar fragwürdig ist, im Grunde genommen aber nicht abseits der Legalität liegt. Marla versteht es, die Hebel des Rechtes so zu betätigen, dass es auf ihrer Seite steht und damit letztlich die Fehler im System eines Justizapparates auszunutzen.

Dass wir Marla zwar verurteilen, aber nicht völlig verdammen und in den Momenten, in denen sie auch in Gefahr gerät, durchaus mit ihr mitfiebern, ist nicht zuletzt auch auf das herausragende Schauspiel Rosamund Pikes zurückzuführen. Es ist nur verdient, dass ihre Performance ihr den Golden Globe für die beste Hauptdarstellerin einbrachte. Jede Nuance ihrer Figur, von der unerschütterlichen Selbstsicherheit vor Gericht, dem aufgesetzten, süßlich-falschen Lächeln neuen Patienten gegenüber bis hin zur unbändigen Wut im Rahmen der zusehends eskalierenden Auseinandersetzungen mit Roman ist meisterhaft dargestellt. Besonders ein kurzer Moment, in dem Marla sich in einem Gespräch angesichts der drohenden Gefahr durch Roman selbstbewusst und unerschrocken zeigt, was direkt nach dem Gespräch einem eindringlichen Gesichtsausdruck der Besorgnis weicht, steht exemplarisch dafür, was herausragendes Schauspiel zu vermitteln vermag.

Neben ihr überzeugt Peter Dinklage als Antagonist Roman. Dass er als gefährlicher Verbrecherboss zunächst (freilich mit Drohgebärden verbundene) rechtliche Schritte einleitet, um seine Mutter aus dem Heim zu holen und erst dann zu Mitteln der Selbstjustiz greift, hebt seinen Charakter merklich von der Schablone ab, durch welche dieser Figurentyp oft entsteht. Peter Dinklage bewies bereits in seiner Paraderolle des Tyrion Lennister in „Game of Thrones“ ausnehmend gutes Schauspieltalent und er stellt auch hier eindrucksvoll zur Schau, wozu er imstande ist, wenn man ihm anspruchsvolle Rollen überträgt. Zwar ist sein Roman Lunyov bisweilen äußerst stark überzeichnet, was gerade in dessen ersten Auftritten gewöhnungsbedürftig ist. Dies ruft hier aber keine Fremdschamelemente hervor, sondern trifft den Ton des Films sehr exakt, welcher trotz der ernsten Thematik und der vorrangig aus dem Thriller- und zum Teil auch Dramenbereich stammenden Elemente auch immer wieder einen Sinn für bissigen Humor offenbart.

Fazit:

„I Care a Lot“ bietet intelligente und raffiniert umgesetzte Kapitalismus- und Sozialkritik. Gleichzeitig ist der Film aber gut konsumierbar und weist keine Längen auf. Auch wenn die zwei Stunden Laufzeit gefühlt sehr schnell vergehen, hinterlassen sie einen Eindruck, der bleibt und gedanklich auch über das Ende des Films hinaus beschäftigt.

 

Hier erhältlich:

(Pierre Schulte)
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Bewertungen: 4.9 / 5. 604

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