Blackmail (1929): Ein Thriller, der Filmgeschichte schrieb
Alfred Hitchcocks „Blackmail“ aus dem Jahr 1929 ist mehr als nur ein Film – er ist ein Meilenstein. Nicht nur, weil er als einer der ersten britischen Tonfilme gilt, sondern vor allem, weil er aufzeigt, wie Hitchcock bereits in seinen frühen Werken die Spannungsschraube meisterhaft anzuziehen verstand. Tauchen wir ein in die düstere Welt von Alice White und die moralischen Abgründe, die sich nach einer schicksalhaften Nacht auftun.
Die Geschichte: Eine Nacht, die alles verändert
Alice White, eine junge Frau in London, die in einer unaufgeregten Beziehung mit Detective Frank Webber lebt, sehnt sich nach etwas mehr Aufregung. Eines Abends lässt sie sich auf ein Rendezvous mit dem charmanten Künstler Mr. Crewe ein. In seinem Atelier kommt es zu einem Streit, der tragisch endet: Alice tötet Crewe in Notwehr. Verzweifelt und voller Angst vor den Konsequenzen versucht sie, die Tat zu vertuschen. Doch ihre Bemühungen bleiben nicht unbemerkt. Ein skrupelloser Mann, der von der Tat weiß, erpresst Alice. Ihr Leben gerät aus den Fugen, und sie muss sich entscheiden, wie weit sie gehen will, um ihre dunkles Geheimnis zu bewahren.
Die Charaktere: Zwischen Schuld und Unschuld
Die Figuren in „Blackmail“ sind vielschichtig und von inneren Konflikten gezeichnet. Hitchcock versteht es, die menschlichen Schwächen und moralischen Dilemmata seiner Charaktere eindrücklich darzustellen:
- Alice White (Anny Ondra): Eine junge Frau, hin- und hergerissen zwischen bürgerlicher Moral und dem Wunsch nach Freiheit und Abenteuer. Ihre impulsive Handlung stürzt sie in einen Strudel aus Angst und Verzweiflung. Ondra, obwohl ihre Stimme im Film synchronisiert wurde, überzeugt durch ihr ausdrucksstarkes Spiel.
- Detective Frank Webber (John Longden): Alices Verlobter und ein Polizist, der zwischen seiner Liebe zu Alice und seiner Pflicht als Gesetzeshüter steht. Sein Konflikt wird durch die Ermittlungen in dem Mordfall immer weiter zugespitzt. Longden verkörpert den pflichtbewussten, aber innerlich zerrissenen Mann überzeugend.
- Mr. Crewe (Cyril Ritchard): Der Künstler, der Alice in sein Atelier lockt. Seine Rolle ist zwiespältig – zunächst charmant und anziehend, entpuppt er sich schnell als aufdringlich und bedrohlich.
- Tracy (Donald Calthrop): Der Erpresser, eine zwielichtige Gestalt, die die Situation ausnutzt, um sich zu bereichern. Er ist ein Symbol für die dunkle Seite der menschlichen Natur und verkörpert die moralische Verkommenheit, die Hitchcock in „Blackmail“ thematisiert.
Die Inszenierung: Spannung pur von Hitchcock
Hitchcock demonstriert in „Blackmail“ sein ganzes Können als Meister der Suspense. Er verwendet eine Vielzahl von filmischen Techniken, um die Spannung zu erzeugen und den Zuschauer in den Bann der Geschichte zu ziehen:
- Visuelle Erzählweise: Hitchcock setzt stark auf Bilder, um die Geschichte zu erzählen. Lange Kamerafahrten, ungewöhnliche Kameraperspektiven und der gezielte Einsatz von Licht und Schatten verstärken die Atmosphäre der Angst und Unsicherheit.
- Symbolik: Der Film ist reich an Symbolen. Ein Messer, ein Telefon, ein Plakat – all diese Objekte tragen zur Bedeutungsebene des Films bei und verstärken die psychologische Wirkung.
- Sounddesign: „Blackmail“ war einer der ersten britischen Tonfilme, und Hitchcock nutzte die Möglichkeiten des Tons auf innovative Weise. Geräusche werden eingesetzt, um die Spannung zu erhöhen und die innere Verfassung der Charaktere widerzuspiegeln. Besonders eindrücklich ist die Szene, in der Alice während des Frühstücks immer wieder das Wort „Messer“ hört, das in ihrem Kopf widerhallt.
- Montage: Hitchcock verwendet eine dynamische Montage, um die Handlung voranzutreiben und die Spannung zu steigern. Schnelle Schnitte und Parallelmontagen verstärken den Eindruck von Hektik und Verfolgung.
Die Bedeutung von „Blackmail“ in der Filmgeschichte
„Blackmail“ ist nicht nur ein spannender Thriller, sondern auch ein wichtiger Film in der Geschichte des Kinos. Er markiert einen Wendepunkt im britischen Film und zeigt, wie Hitchcock bereits in seinen frühen Werken seine unverwechselbare Handschrift entwickelte. Der Film demonstriert, wie gekonnt Hitchcock mit den Mitteln des Kinos die Zuschauer fesseln und zum Nachdenken anregen konnte.
Themen und Motive: Ein Blick hinter die Fassade
„Blackmail“ behandelt eine Reihe von komplexen Themen und Motiven, die auch heute noch relevant sind:
- Schuld und Sühne: Alice’s Tat wirft die Frage auf, wie weit man gehen darf, um sich selbst zu schützen. Der Film thematisiert die psychologischen Auswirkungen von Schuld und die Suche nach Sühne.
- Moralische Ambiguität: Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen. Die Charaktere sind nicht einfach nur gut oder schlecht, sondern handeln aus einer Mischung von Motiven.
- Erpressung und Manipulation: Der Film zeigt, wie Erpressung das Leben eines Menschen zerstören kann und wie Manipulation eingesetzt wird, um Macht auszuüben.
- Die Rolle der Frau: Alice ist eine Frau, die aus den gesellschaftlichen Konventionen ausbricht. Der Film wirft Fragen nach der Rolle der Frau in der Gesellschaft und der Möglichkeit der Selbstbestimmung auf.
Kontroverse um Anny Ondra: Der Übergang zum Tonfilm
Ein interessanter Aspekt von „Blackmail“ ist die Besetzung von Anny Ondra, einer tschechischen Schauspielerin, in der Hauptrolle. Da sie nur wenig Englisch sprach, wurde ihre Stimme im Film synchronisiert. Diese Entscheidung war damals bahnbrechend und zeigt, wie der Übergang zum Tonfilm neue Herausforderungen und kreative Lösungen mit sich brachte. Die Kontroverse um Ondras Stimme trug jedoch auch zur Popularität des Films bei und machte ihn zu einem Gesprächsthema.
Ein Film für Cineasten und Thriller-Fans
„Blackmail“ ist ein Muss für alle, die sich für die Geschichte des Kinos und die Werke von Alfred Hitchcock interessieren. Der Film bietet nicht nur spannende Unterhaltung, sondern regt auch zum Nachdenken über moralische Fragen und die menschliche Natur an. Die innovative Inszenierung, die vielschichtigen Charaktere und die zeitlosen Themen machen „Blackmail“ zu einem Film, der auch nach über 90 Jahren noch begeistert.
Filmdetails im Überblick
Merkmal | Details |
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Originaltitel | Blackmail |
Erscheinungsjahr | 1929 |
Regie | Alfred Hitchcock |
Drehbuch | Alfred Hitchcock, Alma Reville, Charles Bennett (Vorlage: Charles Bennett) |
Hauptdarsteller | Anny Ondra, John Longden, Cyril Ritchard, Donald Calthrop |
Genre | Thriller, Krimi |
Land | Großbritannien |
Laufzeit | 86 Minuten (Stummfilmversion), 84 Minuten (Tonfilmversion) |
Wo kann man „Blackmail“ sehen?
Aufgrund seines Alters ist „Blackmail“ nicht immer leicht zugänglich. Dennoch gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Film zu sehen:
- Streaming-Dienste: Einige Streaming-Dienste bieten „Blackmail“ im Rahmen ihres Angebots an. Es lohnt sich, die Kataloge der großen Anbieter wie Amazon Prime Video, MUBI oder Criterion Channel zu überprüfen.
- DVD und Blu-ray: „Blackmail“ ist auch auf DVD und Blu-ray erhältlich. Diese Versionen enthalten oft Bonusmaterial wie Audiokommentare und Dokumentationen, die einen tieferen Einblick in den Film bieten.
- Filmarchive und Kinos: In einigen Filmarchiven und Programmkinos wird „Blackmail“ im Rahmen von Retrospektiven oder Sonderveranstaltungen gezeigt.
Fazit: Ein zeitloser Klassiker, der begeistert
„Blackmail“ ist ein Film, der auch nach Jahrzehnten nichts von seiner Faszination verloren hat. Er ist ein Beweis für Alfred Hitchcocks außergewöhnliches Talent und ein Meilenstein in der Geschichte des Kinos. Die spannende Geschichte, die vielschichtigen Charaktere und die innovative Inszenierung machen „Blackmail“ zu einem unvergesslichen Filmerlebnis. Wer sich für Thriller, klassische Filme oder die Werke von Alfred Hitchcock interessiert, sollte sich diesen Film unbedingt ansehen.