Wiedersehen in Howards End: Ein Meisterwerk der feinen Zwischentöne
„Wiedersehen in Howards End“, basierend auf dem gleichnamigen Roman von E.M. Forster, ist mehr als nur ein Film – er ist eine Reise in das England des frühen 20. Jahrhunderts, eine Zeit des Umbruchs und der tiefgreifenden sozialen Veränderungen. Unter der Regie von James Ivory entfaltet sich ein komplexes und berührendes Porträt dreier Familien, die unterschiedlicher kaum sein könnten und doch auf schicksalhafte Weise miteinander verbunden sind. Es ist eine Geschichte über Klassengegensätze, Liebe, Verlust und die Suche nach einem Zuhause, das mehr ist als nur ein Ort.
Die Familien im Fokus
Im Zentrum der Erzählung stehen die Schwestern Margaret (Emma Thompson) und Helen Schlegel (Helena Bonham Carter), zwei intelligente und unabhängige Frauen, die einer liberalen, intellektuellen Oberschichtfamilie angehören. Sie verkörpern den aufkeimenden Geist der Moderne, setzen sich für soziale Gerechtigkeit ein und sind stets auf der Suche nach dem tieferen Sinn des Lebens. Ihr Bruder Tibby (Adrian Ross Magenty) rundet das Trio ab, ein eher exzentrischer und intellektuell veranlagter junger Mann, der sich vor allem für das Studium interessiert.
Auf der anderen Seite steht die Familie Wilcox, repräsentiert durch den konservativen und wohlhabenden Henry Wilcox (Anthony Hopkins) und seine verstorbene Frau Ruth (Vanessa Redgrave). Die Wilcoxes sind das Sinnbild des etablierten Bürgertums, verhaftet in Traditionen und dem Streben nach materiellem Erfolg. Sie besitzen Howards End, ein idyllisches Landhaus, das eine zentrale Rolle in der Geschichte spielt und mehr ist als nur ein Gebäude – es ist ein Symbol für Heimat, Kontinuität und die Verbindung zur Vergangenheit.
Die dritte Familie im Bunde ist die Familie Bast, bestehend aus dem jungen, idealistischen Leonard Bast (Samuel West) und seiner Frau Jacky (Nicola Duffett). Leonard ist ein einfacher Angestellter, der sich nach Bildung und einem besseren Leben sehnt. Er verkörpert die Arbeiterklasse und die sozialen Ungerechtigkeiten, die in der Gesellschaft herrschen. Ihre Lebensumstände stehen in krassem Gegensatz zum Reichtum und der Privilegiertheit der Schlegels und Wilcoxes.
Eine schicksalhafte Begegnung
Die Geschichte nimmt ihren Lauf, als Helen Schlegel eine kurze, aber intensive Beziehung zu Paul Wilcox (Joseph Bennett) beginnt, einem der Söhne von Henry. Obwohl diese Liaison schnell endet, legt sie den Grundstein für die komplexen Verflechtungen, die die drei Familien miteinander verbinden werden. Margaret Schlegel lernt Henry Wilcox nach dem Tod seiner Frau Ruth kennen und entwickelt eine unerwartete Beziehung zu ihm. Trotz ihrer unterschiedlichen Weltanschauungen und Lebenseinstellungen entsteht zwischen ihnen eine tiefe Zuneigung, die schließlich in einer Heirat mündet. Diese Verbindung zwischen den beiden Familien stellt die gesellschaftlichen Normen in Frage und führt zu Spannungen und Konflikten.
Gleichzeitig versucht Helen, dem jungen Leonard Bast zu helfen, der in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist. Sie ermutigt ihn, seinen Job zu kündigen, basierend auf fehlerhaften Informationen, die sie erhalten hat. Diese gut gemeinte, aber unglückliche Intervention hat verheerende Folgen für Leonard und seine Frau Jacky, die dadurch in noch größere Armut geraten. Helens Schuldgefühle und ihr Wunsch, die Situation wieder gutzumachen, führen zu weiteren Verwicklungen und tragischen Ereignissen.
Howards End: Mehr als nur ein Haus
Howards End ist nicht einfach nur ein Haus – es ist ein lebendiger Organismus, ein Ort der Erinnerung und der Kontinuität. Ruth Wilcox, die verstorbene Frau von Henry, hegt eine tiefe Verbundenheit zu diesem Ort und möchte ihn eigentlich an Margaret Schlegel vererben, da sie in ihr eine Seelenverwandte sieht. Dieser Wunsch wird jedoch von Henry missachtet und unterdrückt, was die Konflikte und Spannungen zwischen den Familien weiter verschärft. Howards End wird zum Symbol für die unterschiedlichen Werte und Lebenseinstellungen der Charaktere und für die Frage, wer das Recht hat, über die Vergangenheit und die Zukunft zu bestimmen.
Themen und Motive
„Wiedersehen in Howards End“ ist reich an Themen und Motiven, die bis heute relevant sind. Der Film thematisiert die Klassengesellschaft und die sozialen Ungleichheiten, die im England des frühen 20. Jahrhunderts herrschten. Er zeigt, wie die unterschiedlichen Lebensumstände und Privilegien der Charaktere ihre Beziehungen und ihr Schicksal beeinflussen. Darüber hinaus geht es um die Rolle der Frau in der Gesellschaft und die Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert waren, wenn sie sich gegen die traditionellen Rollenbilder auflehnten. Der Film untersucht auch die Bedeutung von Bildung und Kultur für die persönliche Entwicklung und die Möglichkeit, soziale Grenzen zu überwinden.
Ein weiteres zentrales Thema ist die Suche nach Heimat und Zugehörigkeit. Die Charaktere sind auf der Suche nach einem Ort, an dem sie sich geborgen und verstanden fühlen, nach einer Gemeinschaft, in der sie ihren Platz finden können. Howards End symbolisiert diese Sehnsucht nach einem Zuhause, das mehr ist als nur ein physischer Ort – es ist ein Ort der Erinnerung, der Geborgenheit und der Kontinuität.
Die visuelle Umsetzung und die schauspielerischen Leistungen
James Ivory gelingt es in „Wiedersehen in Howards End“ auf meisterhafte Weise, die Atmosphäre und die Stimmung des Romans einzufangen. Die detailreiche Ausstattung, die prächtigen Kostüme und die stimmungsvolle Musik tragen dazu bei, das England des frühen 20. Jahrhunderts zum Leben zu erwecken. Die Kameraführung fängt die Schönheit der Landschaft und die Eleganz der Architektur ein und verstärkt so die emotionale Wirkung der Geschichte.
Die schauspielerischen Leistungen sind durchweg herausragend. Emma Thompson verkörpert Margaret Schlegel mit Intelligenz, Wärme und einem tiefen Verständnis für die menschliche Natur. Anthony Hopkins spielt Henry Wilcox mit einer Mischung aus Strenge, Gefühlskälte und einer subtilen Verletzlichkeit. Helena Bonham Carter überzeugt als die impulsive und idealistische Helen Schlegel, während Samuel West eine beeindruckende Darstellung des tragischen Leonard Bast liefert.
Eine zeitlose Geschichte
„Wiedersehen in Howards End“ ist ein zeitloses Meisterwerk, das auch heute noch seine Zuschauer berührt und zum Nachdenken anregt. Der Film ist eine Hommage an die Literatur und die Kunst, eine Auseinandersetzung mit den sozialen und politischen Fragen seiner Zeit und eine tiefgründige Erforschung der menschlichen Natur. Er erinnert uns daran, wie wichtig es ist, soziale Ungleichheiten zu bekämpfen, die eigenen Werte zu verteidigen und nach einem Zuhause zu suchen, das mehr ist als nur ein Ort.
Auszeichnungen und Anerkennung
„Wiedersehen in Howards End“ wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter drei Oscars: Beste Hauptdarstellerin (Emma Thompson), Bestes adaptiertes Drehbuch und Bestes Szenenbild. Der Film erhielt auch Nominierungen für Beste Regie, Bester Film, Beste Kamera und Beste Kostüme. Darüber hinaus wurde er mit dem Golden Globe Award für das Beste Filmdrehbuch ausgezeichnet und erhielt zahlreiche weitere Auszeichnungen und Nominierungen auf internationalen Filmfestivals.
Die Bedeutung von Howards End heute
Auch im 21. Jahrhundert hat „Wiedersehen in Howards End“ nichts von seiner Relevanz verloren. Die Themen, die der Film behandelt – soziale Ungleichheit, Klassengegensätze, die Suche nach Identität und die Bedeutung von Heimat – sind nach wie vor hochaktuell. In einer Zeit, in der die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird und viele Menschen auf der Suche nach einem Ort sind, an dem sie sich zugehörig fühlen, bietet der Film wertvolle Einblicke und Anregungen.
Darüber hinaus erinnert uns „Wiedersehen in Howards End“ daran, wie wichtig es ist, die Vergangenheit zu bewahren und die Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Howards End selbst steht als Symbol für die Kontinuität der Traditionen und die Bedeutung der Erinnerung. Der Film fordert uns auf, uns mit unserer eigenen Geschichte auseinanderzusetzen und die Verantwortung für die Gestaltung der Zukunft zu übernehmen.
„Wiedersehen in Howards End“ ist ein Film, der lange nach dem Abspann nachwirkt. Er ist eine bewegende und inspirierende Geschichte über die Suche nach Liebe, Glück und einem Zuhause in einer Welt, die sich im Umbruch befindet. Mit seinen komplexen Charakteren, seiner raffinierten Handlung und seiner wunderschönen visuellen Gestaltung ist er ein Meisterwerk des Kinos, das man immer wieder neu entdecken kann.
Die zentralen Charaktere im Überblick:
Charakter | Schauspieler/in | Beschreibung |
---|---|---|
Margaret Schlegel | Emma Thompson | Eine intelligente und unabhängige Frau, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt und eine tiefe Verbindung zu Howards End entwickelt. |
Helen Schlegel | Helena Bonham Carter | Margarets jüngere Schwester, eine impulsive und idealistische Frau, die sich für die Belange der Arbeiterklasse engagiert. |
Henry Wilcox | Anthony Hopkins | Ein konservativer und wohlhabender Geschäftsmann, der nach dem Tod seiner Frau Ruth eine Beziehung mit Margaret eingeht. |
Ruth Wilcox | Vanessa Redgrave | Henry Wilcox‘ verstorbene Frau, die eine tiefe Verbundenheit zu Howards End hat und es eigentlich an Margaret vererben möchte. |
Leonard Bast | Samuel West | Ein junger Angestellter, der sich nach Bildung und einem besseren Leben sehnt und durch unglückliche Umstände in Armut gerät. |
Sehenswerte Szenen:
- Die Szene, in der Ruth Wilcox Margaret im Garten von Howards End begegnet und ihr von ihrer Liebe zu dem Haus erzählt.
- Die Hochzeitszeremonie von Margaret und Henry Wilcox, die von Spannungen und Zweifeln überschattet wird.
- Die tragische Konfrontation zwischen Leonard Bast und den Wilcox-Brüdern, die zu einem schicksalhaften Ereignis führt.
- Der Schluss des Films, in dem Margaret, Helen und Helens Kind gemeinsam in Howards End leben und eine neue Zukunft beginnen.