Der Anständige: Eine Reise in die Abgründe der NS-Zeit
Der Film „Der Anständige“ ist keine leichte Kost, aber eine unglaublich wichtige Auseinandersetzung mit einem der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Er wagt sich in die Psyche Heinrich Himmlers vor, nicht durch fiktive Erzählungen oder dramatisierende Inszenierungen, sondern durch die erschreckende Authentizität seiner eigenen Worte und Taten. Regisseurin Vanessa Lapa präsentiert uns einen Dokumentarfilm, der auf gefundenen Briefen, Tagebucheinträgen und Reden Himmlers basiert, ergänzt durch Aufnahmen aus dem Familienalbum und historisches Archivmaterial. Dadurch entsteht ein verstörend intimes Porträt eines Mannes, der für den Tod von Millionen verantwortlich war und sich selbst dennoch als „anständig“ bezeichnete.
Die Rekonstruktion einer monströsen Normalität
Was „Der Anständige“ so beklemmend macht, ist die Normalität, die in den Zeugnissen Himmlers durchscheint. Wir hören von seinen Sorgen um die Gesundheit seiner Tochter, von seinen Liebesbriefen an seine Frau und Geliebte, von seinen bürokratischen Routinen. Diese Details stehen in einem krassen Gegensatz zu den monströsen Verbrechen, die er im Namen des Nationalsozialismus beging. Der Film zeigt auf erschreckende Weise, wie ein Mann, der sich selbst als Familienvater und pflichtbewussten Bürger sah, zum Architekten des Holocaust werden konnte. Es ist diese Diskrepanz, die uns zwingt, uns mit der Frage auseinanderzusetzen, wie solche Gräueltaten überhaupt möglich waren.
Die Entscheidung, auf fiktive Elemente zu verzichten und stattdessen ausschließlich auf Originalmaterial zu setzen, ist ein großer Verdienst des Films. Dadurch entsteht eine unmittelbare und authentische Erfahrung, die unter die Haut geht. Die Zitate Himmlers werden von Schauspielern gesprochen, was ihnen eine zusätzliche Eindringlichkeit verleiht. Wir hören seine Stimme, seine Gedanken, seine Rechtfertigungen. Wir sehen ihn in alten Aufnahmen, umgeben von seiner Familie oder in Uniform, bei der Inspektion von Konzentrationslagern. Diese Kombination aus Wort und Bild erzeugt eine beklemmende Atmosphäre, die uns in die Welt Himmlers hineinzieht und uns gleichzeitig dazu zwingt, uns von ihm zu distanzieren.
Einblick in das Familienleben eines Massenmörders
Ein besonders verstörender Aspekt des Films ist der Einblick in Himmlers Familienleben. Wir sehen Fotos von seiner Tochter Gudrun, die ihren Vater abgöttisch liebte und bis zu ihrem Tod an seine Unschuld glaubte. Wir hören Auszüge aus Briefen, in denen er ihr von seinen „Dienstreisen“ berichtet, ohne die wahre Natur seiner Arbeit zu erwähnen. Diese Szenen verdeutlichen die Abspaltung, die Himmler zwischen seinem Privatleben und seinen politischen Verbrechen vollzog. Sie zeigen, wie er es schaffte, ein Doppelleben zu führen und seine Familie vor der grausamen Realität zu schützen, die er selbst erschuf.
Die Beziehung zu seiner Frau Margarete wird ebenfalls beleuchtet. Ihre Briefe offenbaren eine Frau, die einerseits von den nationalsozialistischen Ideologien überzeugt war, andererseits aber auch unter der emotionalen Kälte ihres Mannes litt. Die Korrespondenz zwischen Himmler und seiner Geliebten Hedwig Potthast wirft ein weiteres Licht auf seine Persönlichkeit. Sie zeigt einen Mann, der sich nach Liebe und Anerkennung sehnte, aber gleichzeitig unfähig war, echte Empathie zu empfinden.
Die Macht der Bürokratie des Schreckens
Neben dem privaten Leben Himmlers beleuchtet „Der Anständige“ auch seine Rolle als Organisator des Holocaust. Der Film zeigt, wie er mit bürokratischer Präzision und kalter Effizienz den Massenmord plante und durchführte. Wir hören Zitate aus seinen Reden, in denen er die Vernichtung der Juden als notwendige Maßnahme zur „Reinigung“ der arischen Rasse rechtfertigt. Diese Worte sind erschreckend in ihrer Banalität und verdeutlichen, wie Ideologie und Bürokratie zusammenwirkten, um den Holocaust zu ermöglichen.
Der Film verdeutlicht, dass Himmler kein isolierter Einzeltäter war, sondern Teil eines Netzwerks von Tätern, die alle ihren Beitrag zur Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie leisteten. Er war der zentrale Knotenpunkt in einem System, das auf Hass, Gewalt und Entmenschlichung basierte. „Der Anständige“ zeigt, wie dieses System funktionierte und wie es Millionen von Menschen das Leben kostete.
Die Bedeutung der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit
„Der Anständige“ ist ein Film, der uns nicht loslässt. Er zwingt uns, uns mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und Lehren daraus zu ziehen. Er erinnert uns daran, dass auch ganz normale Menschen zu unfassbaren Gräueltaten fähig sind, wenn sie sich von Ideologien verblenden lassen und ihre eigene Moral verraten. Der Film ist eine Mahnung, wachsam zu sein und sich gegen jede Form von Diskriminierung, Hass und Gewalt zu stellen.
Es ist wichtig, dass wir uns mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinandersetzen, um zu verhindern, dass sich solche Gräueltaten jemals wiederholen. „Der Anständige“ leistet einen wichtigen Beitrag zu dieser Auseinandersetzung, indem er uns einen verstörenden Einblick in die Psyche eines der Hauptverantwortlichen des Holocaust gibt. Der Film ist keine leichte Kost, aber er ist ein notwendiger und wichtiger Beitrag zur Erinnerungskultur.
Ein Film, der Fragen aufwirft
„Der Anständige“ ist mehr als nur eine Dokumentation über Heinrich Himmler. Er ist ein Film, der Fragen aufwirft und uns zum Nachdenken anregt. Er fragt uns, wie es möglich war, dass ein Mann wie Himmler so viel Macht erlangen konnte. Er fragt uns, wie wir sicherstellen können, dass sich solche Gräueltaten niemals wiederholen. Und er fragt uns, was es bedeutet, ein anständiger Mensch zu sein.
Der Film lässt uns mit einem Gefühl der Beklommenheit und Ratlosigkeit zurück. Er zeigt uns die Abgründe der menschlichen Natur und die Gefahren von Ideologie und Hass. Aber er erinnert uns auch daran, dass es unsere Verantwortung ist, aus der Vergangenheit zu lernen und eine bessere Zukunft zu gestalten. „Der Anständige“ ist ein Film, der uns nicht gleichgültig lässt und der uns noch lange beschäftigen wird.
Zusammenfassende Bewertung
„Der Anständige“ ist ein außergewöhnlicher und verstörender Dokumentarfilm, der auf erschreckende Weise die Psyche Heinrich Himmlers beleuchtet. Durch die Verwendung von Originalmaterialien entsteht eine beklemmende Authentizität, die unter die Haut geht. Der Film ist keine leichte Kost, aber er ist ein wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und eine Mahnung, wachsam zu sein und sich gegen jede Form von Diskriminierung, Hass und Gewalt zu stellen.
Film Details
Kategorie | Information |
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Titel | Der Anständige |
Regie | Vanessa Lapa |
Genre | Dokumentation |
Erscheinungsjahr | 2014 |
Laufzeit | 94 Minuten |
Sehenswert für
Wer sich intensiv und aufwühlend mit den Verantwortlichen des Holocaust auseinandersetzen will und keine Scheu vor verstörendem Originalmaterial hat, für den ist „Der Anständige“ ein wichtiger und sehenswerter Film.