Mittagsstunde: Eine Reise in die Vergangenheit und zurück ins Leben
Joachim Meyerhoffs Roman „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ ist eine zutiefst berührende und humorvolle Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte. Die Verfilmung „Mittagsstunde“, unter der Regie von Lars Jessen, fängt die Essenz dieser Geschichte auf wunderbare Weise ein und entführt den Zuschauer in eine norddeutsche Welt, in der Tradition und Moderne aufeinandertreffen, in der Schweigen manchmal lauter spricht als Worte und in der die Liebe in den kleinen Gesten des Alltags verborgen liegt.
Eine Familiensaga im Wandel der Zeit
„Mittagsstunde“ erzählt die Geschichte von Ingwer Feddersen, einem erfolgreichen Archäologen, der in Kiel lebt. Das Telefon klingelt und er erfährt, dass sein Vater, der alte Sönke, zunehmend dement wird und sich nicht mehr allein um den elterlichen Hof kümmern kann. Ingwer kehrt zurück in sein Heimatdorf Brinkebüll in Nordfriesland, ein Ort, den er vor Jahren verlassen hat und der sich seitdem stark verändert hat.
Brinkebüll ist nicht mehr das Brinkebüll seiner Kindheit. Die Kneipe, die seine Eltern jahrzehntelang geführt haben, steht vor dem Aus. Die Landwirtschaft, einst das Herzstück des Dorfes, kämpft ums Überleben. Die alten Traditionen verblassen und eine neue Zeit bricht an. Ingwer findet sich in einer Welt wieder, die ihm fremd geworden ist, und muss sich mit seiner eigenen Vergangenheit auseinandersetzen.
Die Rückkehr nach Brinkebüll ist für Ingwer eine Reise in die Vergangenheit. Er erinnert sich an seine Kindheit auf dem Hof, an seine Eltern, die mit harter Arbeit und viel Herzblut die Kneipe am Laufen hielten, und an die Dorfbewohner, die Teil seiner Familie waren. Er erinnert sich aber auch an die Sprachlosigkeit, die zwischen ihm und seinen Eltern herrschte, an die unausgesprochenen Gefühle und an die unausgelebten Träume.
Die Stille und das Schweigen
Ein zentrales Thema von „Mittagsstunde“ ist das Schweigen. Sönke und Ella Feddersen, Ingwers Eltern, sind Menschen weniger Worte. Sie drücken ihre Liebe und Zuneigung nicht offen aus, sondern zeigen sie durch ihre Taten. Sie arbeiten hart, sorgen für ihre Familie und sind immer für ihre Mitmenschen da. Doch die Sprachlosigkeit führt auch zu Missverständnissen und Entfremdung. Ingwer hat Schwierigkeiten, die Gefühle seiner Eltern zu verstehen und sich ihnen zu öffnen.
Die Stille in „Mittagsstunde“ ist jedoch nicht nur negativ. Sie ist auch ein Ausdruck von Respekt, von tiefer Verbundenheit und von dem Wissen, dass man sich auch ohne Worte versteht. Die norddeutsche Mentalität, die von Pragmatismus und Zurückhaltung geprägt ist, wird in dem Film auf authentische Weise dargestellt.
Ein Dorf im Wandel
Brinkebüll ist ein Spiegelbild des Wandels, dem viele Dörfer in Deutschland unterliegen. Die Landwirtschaft verliert an Bedeutung, die jungen Leute ziehen in die Stadt und die alten Traditionen sterben aus. Die Kneipe, die einst ein Treffpunkt für die Dorfbewohner war, steht nun leer und symbolisiert den Verlust der Gemeinschaft.
Doch „Mittagsstunde“ ist keine nostalgische Verklärung der Vergangenheit. Der Film zeigt auch die positiven Seiten des Wandels. Die neuen Technologien ermöglichen es den Landwirten, effizienter zu arbeiten. Die jungen Leute bringen frischen Wind in das Dorf. Und die alten Traditionen werden nicht einfach vergessen, sondern neu interpretiert und weitergegeben.
Die Kraft der Erinnerung
Ingwers Rückkehr nach Brinkebüll ist eine Chance, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen und Frieden zu schließen. Er lernt, seine Eltern besser zu verstehen und ihre Liebe zu erkennen, die in ihren Taten verborgen liegt. Er entdeckt die Schönheit seiner Heimat wieder und findet zurück zu seinen Wurzeln.
Die Erinnerung spielt in „Mittagsstunde“ eine wichtige Rolle. Ingwer erinnert sich an seine Kindheit, an seine Freunde und an die Ereignisse, die sein Leben geprägt haben. Die Erinnerung hilft ihm, seine Identität zu finden und seinen Platz in der Welt zu bestimmen.
Die Figuren: Authentisch und berührend
„Mittagsstunde“ lebt von seinen authentischen und berührenden Figuren. Peter Lohmeyer überzeugt als Sönke Feddersen, ein Mann, der mit dem Verlust seiner Erinnerung kämpft und der versucht, seine Würde zu bewahren. Gabriela Maria Schmeide spielt Ella Feddersen, eine starke Frau, die ihren Mann und ihre Familie liebevoll umsorgt. Charly Hübner verkörpert Ingwer Feddersen, einen Mann, der zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin- und hergerissen ist und der versucht, seinen Platz im Leben zu finden.
Die Nebenrollen sind ebenfalls hervorragend besetzt. Rainer Bock spielt den Bürgermeister von Brinkebüll, der versucht, das Dorf am Leben zu erhalten. Hildegard Schmahl spielt Ingwers Tante, die ihm mit Rat und Tat zur Seite steht. Und Margarita Broich spielt Ingwers Frau, die ihn bei seiner Reise in die Vergangenheit unterstützt.
Die Inszenierung: Ein norddeutsches Gemälde
Lars Jessen hat „Mittagsstunde“ mit viel Liebe zum Detail inszeniert. Die norddeutsche Landschaft wird in wunderschönen Bildern eingefangen. Die Kamera fängt die Weite des Landes, die Kargheit der Küste und die Schönheit der Natur ein. Die Musik von Martin Todsharow unterstreicht die emotionale Wirkung des Films.
Die Ausstattung ist authentisch und detailgetreu. Die Kneipe, der Hof und die Häuser des Dorfes wirken wie aus der Zeit gefallen. Die Kostüme sind schlicht und funktional und passen perfekt zu den Figuren.
Fazit: Ein Film, der lange nachwirkt
„Mittagsstunde“ ist ein Film, der lange nachwirkt. Er ist eine berührende und humorvolle Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte, mit dem Wandel der Zeit und mit der Bedeutung von Erinnerung. Der Film ist ein Plädoyer für die Stille, für die kleinen Gesten des Alltags und für die Liebe, die in den unscheinbarsten Dingen verborgen liegt.
Wer sich auf „Mittagsstunde“ einlässt, wird mit einem Film belohnt, der zum Nachdenken anregt, der berührt und der Mut macht, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen und den eigenen Platz in der Welt zu finden.
Filmdetails
Titel: | Mittagsstunde |
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Regie: | Lars Jessen |
Darsteller: | Charly Hübner, Peter Lohmeyer, Gabriela Maria Schmeide |
Genre: | Drama, Komödie |
Produktionsjahr: | 2022 |
Länge: | 109 Minuten |
Themen des Films:
- Familiengeschichte
- Demenz
- Veränderung
- Erinnerung
- Heimat
- Schweigen
- Norddeutsche Mentalität
Für wen ist der Film geeignet?
„Mittagsstunde“ ist ein Film für alle, die sich für Familiengeschichten, für norddeutsche Kultur und für die großen Fragen des Lebens interessieren. Der Film ist sowohl unterhaltsam als auch tiefgründig und bietet Stoff zum Nachdenken und Diskutieren.