Nachts, wenn der Teufel kam: Ein düsteres Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte
Nachts, wenn der Teufel kam (1957) ist mehr als nur ein Kriminalfilm. Er ist eine tiefschürfende Auseinandersetzung mit der deutschen Nachkriegszeit, der Verdrängung der NS-Vergangenheit und dem Wiederaufstieg des Bösen im Angesicht der Trümmer. Regisseur Robert Siodmak, selbst ein Emigrant vor dem Nazi-Regime, schuf ein packendes, beklemmendes Werk, das bis heute nichts von seiner Relevanz verloren hat.
Die Geschichte: Eine Mordserie erschüttert das Land
Der Film basiert auf den wahren Begebenheiten der Göhrmörder-Fälle, einer Reihe von grausamen Morden, die in den Jahren 1944 bis 1951 die norddeutsche Lüneburger Heide heimsuchten. Die fiktionalisierte Geschichte beginnt im Nachkriegsdeutschland. Ein brutaler Mord an einer alten Frau erschüttert ein kleines Dorf. Hauptkommissar Kersten (Claus Holm), ein junger, idealistischer Ermittler, übernimmt den Fall. Schnell stößt er auf Ungereimtheiten und wird mit einer Mauer des Schweigens konfrontiert. Die Dorfbewohner sind misstrauisch, die örtliche Polizei scheint wenig interessiert an einer schnellen Aufklärung.
Kersten lässt sich jedoch nicht entmutigen. Seine Ermittlungen führen ihn zu Bruno Lüdke (Mario Adorf), einem geistig behinderten Mann, der in der Dorfgemeinschaft als Sonderling gilt. Lüdke gesteht die Tat, doch Kersten zweifelt an seiner Schuld. Er vermutet, dass Lüdke ein Bauernopfer ist, um den wahren Täter zu schützen. Gegen den Widerstand seiner Vorgesetzten und der Bevölkerung verfolgt Kersten seine Intuition und deckt nach und nach ein Netz aus Lügen, Verbrechen und Verdrängung auf.
Die Figuren: Zwischen Schuld und Unschuld
Siodmak zeichnet ein komplexes Bild der deutschen Gesellschaft der Nachkriegszeit. Seine Figuren sind vielschichtig und ambivalent, gefangen zwischen Schuld und Unschuld, zwischen Vergangenheitsbewältigung und Verdrängung.
- Hauptkommissar Kersten: Der idealistische Ermittler verkörpert den Glauben an Gerechtigkeit und die Notwendigkeit, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Er ist ein Außenseiter, der gegen den Strom schwimmt und sich nicht von politischem Druck oder gesellschaftlicher Konvention beirren lässt.
- Bruno Lüdke: Mario Adorf liefert eine beeindruckende Darstellung des geistig behinderten Lüdke. Er ist ein Opfer der Umstände, ein Spielball der Mächtigen. Seine vermeintliche Schuld dient dazu, die wahren Täter zu schützen und die Verbrechen der Vergangenheit zu vertuschen.
- Professor Boehm (Werner Hinz): Der Psychiater und ehemalige NS-Arzt verkörpert die Verdrängung der NS-Vergangenheit. Er ist ein Opportunist, der seine Ideologie den Umständen anpasst und seine wissenschaftliche Expertise missbraucht, um seine eigenen Interessen zu wahren.
- Frau Lorenzen (Annemarie Düringer): Sie ist die Schwester des vermeintlichen Täters. Sie glaubt an die Unschuld ihres Bruders und kämpft um ihn.
Die Inszenierung: Beklemmende Atmosphäre und symbolträchtige Bilder
Siodmak setzt auf eine düstere, expressionistische Bildsprache, die die beklemmende Atmosphäre des Films unterstreicht. Die Kameraführung ist dynamisch und unruhig, die Schauplätze sind trist und heruntergekommen. Die Trümmerlandschaft des Nachkriegsdeutschlands wird zum Spiegelbild der inneren Zerrissenheit der Figuren.
Besonders eindrücklich ist die Verwendung von Licht und Schatten. Die dunklen Gassen und verlassenen Häuser werden zu Schauplätzen des Bösen. Die wenigen Lichtblicke, die es gibt, sind oft trügerisch und verweisen auf die moralische Verkommenheit der Gesellschaft.
Die Musik von Bernhard Eichhorn verstärkt die emotionale Wirkung des Films. Die düsteren, dissonanten Klänge spiegeln die innere Verzweiflung der Figuren und die Hoffnungslosigkeit der Situation wider.
Themen und Motive: Verdrängung, Schuld und die Suche nach Gerechtigkeit
Nachts, wenn der Teufel kam thematisiert die Verdrängung der NS-Vergangenheit und die Schwierigkeit der Vergangenheitsbewältigung. Der Film zeigt, wie die Verbrechen der NS-Zeit weiterhin in der Gesellschaft wirken und das Zusammenleben der Menschen beeinflussen.
Ein weiteres zentrales Thema ist die Frage nach Schuld und Unschuld. Der Film hinterfragt die traditionellen Vorstellungen von Täterschaft und Opferschaft und zeigt, wie die Umstände und die gesellschaftlichen Verhältnisse die Handlungen der Menschen beeinflussen können.
Trotz der düsteren Thematik ist der Film von einem tiefen Glauben an die Gerechtigkeit geprägt. Hauptkommissar Kersten verkörpert die Hoffnung, dass die Wahrheit ans Licht gebracht werden kann und dass die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden. Er ist ein Symbol für den Kampf gegen das Böse und für die Notwendigkeit, die Verbrechen der Vergangenheit aufzuarbeiten.
Historischer Kontext: Die Göhrmörder-Fälle und die Nachkriegszeit
Der Film basiert auf den wahren Begebenheiten der Göhrmörder-Fälle. Fritz Göhrum war ein Serienmörder, der in den Jahren 1944 bis 1951 in der Lüneburger Heide mindestens sieben Frauen ermordete. Seine Taten sorgten für großes Aufsehen und verunsicherten die Bevölkerung. Göhrum wurde 1951 zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Die Göhrmörder-Fälle ereigneten sich in einer Zeit des Umbruchs und der Verunsicherung. Das Nachkriegsdeutschland war geprägt von Armut, Hunger und dem Verlust von Heimat und Identität. Viele Menschen waren traumatisiert von den Erfahrungen des Krieges und der NS-Zeit. Die Verdrängung der Vergangenheit war weit verbreitet, und es gab wenig Bereitschaft, sich mit den Verbrechen der NS-Zeit auseinanderzusetzen.
Die Bedeutung des Films heute
Nachts, wenn der Teufel kam ist ein wichtiger Film, der bis heute nichts von seiner Relevanz verloren hat. Er erinnert uns daran, dass die Verbrechen der Vergangenheit nicht vergessen werden dürfen und dass es notwendig ist, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen.
Der Film ist auch eine Mahnung, wachsam zu sein und sich gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zu stellen. Er zeigt, wie schnell ausgrenzende Ideologien zu Gewalt und Terror führen können.
Nachts, wenn der Teufel kam ist ein düsteres, beklemmendes Werk, das den Zuschauer noch lange nach dem Abspann beschäftigt. Er ist ein wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und ein Plädoyer für Menschlichkeit und Gerechtigkeit.
Auszeichnungen
Auszeichnung | Kategorie | Ergebnis |
---|---|---|
Deutscher Filmpreis | Bester Spielfilm | Gewonnen |
Deutscher Filmpreis | Beste Regie | Gewonnen |
Golden Globe Award | Bester fremdsprachiger Film | Nominiert |
Oscar | Bester fremdsprachiger Film | Nominiert |
Fazit: Ein Meisterwerk des deutschen Films
Nachts, wenn der Teufel kam ist ein Meisterwerk des deutschen Films. Siodmak gelingt es, ein packendes Kriminaldrama mit einer tiefschürfenden Auseinandersetzung mit der deutschen Nachkriegszeit zu verbinden. Der Film ist ein wichtiger Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung und ein Plädoyer für Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Ein Film, der zum Nachdenken anregt und lange im Gedächtnis bleibt.