Jeremiah Johnson: Ein Mann, ein Berg, eine Legende
Jeremiah Johnson, ein Name, der in den Annalen des Western-Genres wie ein Echo durch die schneebedeckten Gipfel der Rocky Mountains hallt. Dieser Film, ein Meisterwerk von Regisseur Sydney Pollack aus dem Jahr 1972, ist weit mehr als nur ein Abenteuerfilm. Er ist eine tiefgründige Meditation über die menschliche Natur, die Sehnsucht nach Freiheit, die Konfrontation mit der Wildnis und die tragischen Konsequenzen von Gewalt und Missverständnissen. Mit Robert Redford in der Titelrolle entführt uns „Jeremiah Johnson“ in eine Welt, die ebenso atemberaubend schön wie unerbittlich grausam ist.
Die Suche nach einem neuen Leben
Die Geschichte beginnt nach dem Ende des Mexikanisch-Amerikanischen Krieges. Jeremiah Johnson, ein ehemaliger Soldat, der des Krieges müde ist und eine tiefe Abneigung gegen die Zivilisation entwickelt hat, beschließt, allem zu entfliehen und in die unberührte Wildnis der Rocky Mountains aufzubrechen. Er ist auf der Suche nach einem einfachen Leben, einem Leben im Einklang mit der Natur, fernab von den Konflikten und der Hektik der modernen Welt. Er will ein Mountain Man werden, ein Trapper, ein Überlebenskünstler – ein freier Mann.
Doch die Wildnis ist kein Ort für Anfänger. Jeremiah ist naiv und unvorbereitet. Er besitzt kaum Ausrüstung und noch weniger Kenntnisse über das Überleben in der rauen Bergwelt. Er stolpert unbeholfen durch die verschneiten Wälder, jagt erfolglos und kämpft mit der Kälte und dem Hunger. Seine ersten Versuche, sich anzupassen, sind von Fehlern und Rückschlägen geprägt, die ihn an seine Grenzen bringen.
Lehrmeister und Weggefährten
In seiner Not trifft Jeremiah auf „Bear Claw“ Chris Lapp, einen erfahrenen Trapper und Mountain Man, gespielt von Will Geer. Bear Claw wird zu Jeremiahs Mentor, der ihm die notwendigen Fertigkeiten und Kenntnisse vermittelt, um in der Wildnis zu überleben. Er lehrt ihn das Jagen, das Fallenstellen, das Lesen der Spuren und das Respektieren der Natur. Bear Claw ist ein rauer, aber weiser Mann, der die Berge kennt wie seine Westentasche. Er teilt sein Wissen und seine Erfahrung mit Jeremiah, der schnell lernt und sich zu einem fähigen Trapper entwickelt.
Im Laufe seiner Abenteuer begegnet Jeremiah auch anderen Menschen, die sein Leben beeinflussen. Er freundet sich mit Del Gue (Stefan Gierasch) an, einem exzentrischen Trapper, der ihm hilft, die Sitten und Gebräuche der Crow-Indianer zu verstehen. Diese Begegnungen sind entscheidend für Jeremiahs Entwicklung und sein Verständnis der komplexen Beziehungen zwischen den weißen Siedlern und den Ureinwohnern.
Ein gefundenes Familienglück und dessen jähes Ende
Jeremiahs Leben nimmt eine dramatische Wendung, als er auf eine ausgeraubte Wagenkolonne stößt. Dort findet er eine traumatisierte Frau und ihren kleinen Sohn Caleb. Die Frau ist geistig verwirrt und kann sich nicht mehr um ihren Sohn kümmern. Jeremiah nimmt Caleb bei sich auf und kümmert sich um ihn, als wäre er sein eigener Sohn. Er gibt dem stummen Jungen ein Zuhause und eine Familie.
Später heiratet Jeremiah eine junge Frau aus dem Stamm der Flathead-Indianer, Swan (Delle Bolton), die ihm von ihrem Vater als Zeichen des Friedens angeboten wird. Jeremiah, Caleb und Swan bilden eine ungewöhnliche, aber liebevolle Familie. Sie bauen eine Hütte in den Bergen und leben ein einfaches, aber glückliches Leben im Einklang mit der Natur. Jeremiah findet endlich das, wonach er gesucht hat: ein Zuhause, eine Familie und ein Gefühl der Zugehörigkeit.
Doch das Glück ist nur von kurzer Dauer. Als Jeremiah gezwungen ist, auf Bitten der US-Armee einen Trupp Soldaten durch ein heiliges Crow-Indianer-Begräbnisgebiet zu führen, zieht er den Zorn des Stammes auf sich. Aus Rache überfallen die Crow Jeremiahs Hütte und töten Swan und Caleb. Dieser tragische Verlust stürzt Jeremiah in tiefe Trauer und löst einen unstillbaren Durst nach Rache aus.
Der einsame Krieger
Von nun an verwandelt sich Jeremiah Johnson in eine Legende. Er wird zum „Mörder der Krähen“, einem gefürchteten Krieger, der unerbittlich Jagd auf die Crow-Indianer macht, die seine Familie getötet haben. Er ist getrieben von Rache und Schmerz und wird zu einer lebenden Verkörperung des Hasses. Er entwickelt eine unheimliche Fähigkeit, in der Wildnis zu überleben und seine Feinde zu töten. Sein Ruf eilt ihm voraus, und die Indianer fürchten ihn wie eine Naturgewalt.
Jeremiah Johnsons Geschichte ist jedoch mehr als nur eine Rachegeschichte. Sie ist auch eine Geschichte über die Spirale der Gewalt und die zerstörerische Kraft des Hasses. Im Laufe seines Rachefeldzuges verliert Jeremiah immer mehr von seiner Menschlichkeit. Er wird zu einem einsamen Wolf, der von seiner Vergangenheit gequält wird. Er ist gefangen in einem Kreislauf aus Gewalt und Vergeltung, aus dem er keinen Ausweg findet.
Die Legende lebt weiter
Der Film endet mit einer mysteriösen Begegnung zwischen Jeremiah und einem Crow-Indianer-Häuptling. Die beiden Männer stehen sich gegenüber, die Augen voller Hass und Respekt. Doch anstatt zu kämpfen, grüßt der Häuptling Jeremiah mit einer Geste des Friedens. Jeremiah erwidert den Gruß und reitet davon. Diese Szene lässt den Zuschauer mit vielen Fragen zurück. Hat Jeremiah endlich Frieden gefunden? Hat er den Kreislauf der Gewalt durchbrochen? Ist er zu einem Mythos geworden, einer Legende, die für immer in den Bergen weiterleben wird?
„Jeremiah Johnson“ ist ein Film, der lange nachwirkt. Er ist eine Ode an die Schönheit und die Gefahren der Natur, eine Hommage an den Pioniergeist und eine Warnung vor den Konsequenzen von Gewalt und Hass. Robert Redford liefert in der Rolle des Jeremiah Johnson eine seiner besten Leistungen ab. Er verkörpert die Zerrissenheit und die innere Stärke dieses Mannes auf beeindruckende Weise. Die atemberaubenden Landschaftsaufnahmen der Rocky Mountains tragen zusätzlich zur Atmosphäre des Films bei und machen ihn zu einem unvergesslichen Kinoerlebnis.
Themen und Interpretationen
„Jeremiah Johnson“ ist reich an Themen und Interpretationen. Der Film behandelt die folgenden Schwerpunkte:
- Die Konfrontation mit der Wildnis: Der Film zeigt, wie der Mensch versucht, sich der Natur anzupassen und in ihr zu überleben. Er thematisiert die Schönheit und die Gefahren der Wildnis und die Notwendigkeit, sie zu respektieren.
- Die Suche nach Freiheit und Unabhängigkeit: Jeremiah Johnson ist ein Mann, der der Zivilisation entflieht, um ein freies und unabhängiges Leben in der Natur zu führen. Der Film stellt die Frage, ob es möglich ist, dem Einfluss der Gesellschaft zu entkommen und ein authentisches Leben zu führen.
- Die Beziehungen zwischen weißen Siedlern und Ureinwohnern: Der Film zeigt die komplexen und oft konfliktreichen Beziehungen zwischen den weißen Siedlern und den indianischen Stämmen. Er thematisiert die kulturellen Unterschiede, die Missverständnisse und die Gewalt, die diese Beziehungen prägten.
- Die Spirale der Gewalt: Der Film zeigt, wie Gewalt zu Gegengewalt führt und wie Rache und Hass zu einem endlosen Kreislauf werden können. Er stellt die Frage, ob es einen Ausweg aus diesem Kreislauf gibt.
- Die Suche nach Identität und Sinn: Jeremiah Johnson ist ein Mann, der auf der Suche nach seiner Identität und dem Sinn seines Lebens ist. Er findet beides in der Natur und in seiner Familie, verliert aber beides durch die Gewalt der Außenwelt.
„Jeremiah Johnson“ im Vergleich zu anderen Western
„Jeremiah Johnson“ unterscheidet sich von vielen anderen Western-Filmen durch seine realistische Darstellung der Wildnis und der Lebensweise der Mountain Men. Der Film verzichtet auf übertriebene Action-Szenen und glorifizierende Heldenbilder. Stattdessen konzentriert er sich auf die inneren Konflikte des Protagonisten und die komplexen Beziehungen zwischen den verschiedenen Kulturen.
Im Vergleich zu klassischen Western wie „Rio Bravo“ oder „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ ist „Jeremiah Johnson“ ein introspektiverer und melancholischerer Film. Er ist weniger an der Darstellung von Heldentum und Gerechtigkeit interessiert als an der Erforschung der menschlichen Natur und der Tragik des Lebens.
„Jeremiah Johnson“ ist ein zeitloser Klassiker des Western-Genres, der auch heute noch seine Zuschauer in den Bann zieht. Der Film ist nicht nur ein spannendes Abenteuer, sondern auch eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den großen Fragen des Lebens. Er ist ein Muss für alle, die sich für die Geschichte des Westens, die Natur und die menschliche Psyche interessieren. Ein Film, der zum Nachdenken anregt und lange im Gedächtnis bleibt.
Besetzung und Crew
Hier eine Übersicht der wichtigsten Beteiligten:
Rolle | Schauspieler |
---|---|
Jeremiah Johnson | Robert Redford |
„Bear Claw“ Chris Lapp | Will Geer |
Del Gue | Stefan Gierasch |
Swan | Delle Bolton |
Caleb | Josh Albee |
Regie: Sydney Pollack
Drehbuch: John Milius, Edward Anhalt
Musik: John Rubinstein
Kamera: Duke Callaghan